9. August 2009

Wie die Deutungshoheit im Internet zurück erobert werden soll

Der Titel des Beitrages ist zwar bekloppt, aber eine andere Sprache verstehen die Laien, Dumpfbacken und Internetausdrucker nicht. Für die ist das Böse im Internet. Daß es immer und überall ist, haben sie gar nicht mitbekommen. Sie gehen ins Internet, Sie schauen im Internet Filme. Sie kaufen im Internet ein.
Das alles ist schwachmatisch. Ich kann's nicht ändern.

Zumindest kann ich von mir behaupten: Ich war noch nie im Internet.

Was haben wir dieses Jahr nicht schon alles gehabt. Forderungen nach Regulierungen für das Internet stehen fast genauso häufig in der Zeitung wie der Wetterbericht, haben den gleichen Unterhaltungswert und eine ähnliche Vorhersagbarkeit.

Der erste Sturm im Wasserglas wurde geschüttelt, als der Amoklauf von Winnenden stattfand. Die Forderung an den Gesetzgeber lautete, gewaltverherrlichende Computerspiele mit denen Mord und Totschlag für junge Menschen zum Zeitvertreib werden, zu verbieten. Doch niemand war gerührt. Noch am gleichen Tag wurde fleißig weiter in WoW gezockt. Habe ich live und stundenlang selber so erlebt.

Wer solche Forderungen stellt, muß auch extra scharfe Brotmesser mit 18 cm langer Klinge, Autos und diverse andere Mordinstrumente, die zum Zeitvertreib herhalten, verbieten. Mit dem Brotmesser lassen sich sehr sauber und unkrümelig lecker Scheiben vom Körnerbrot abtrennen, aber auch Köpfe vom Hals. Mit dem Auto lassen sich herrliche Landpartien veranstalten, aber es sind aus Frust auch schnell mal drei Renter vom Fußgängerüberweg gepustet. Oder Kinder.

Wer eine solche Forderung aufstellt, der muß auch den Film "96 Stunden" (Taken), hierzulande ab 16 Jahren zugelassen, verbieten. Ich habe mich fürstlich unterhalten gefühlt und selten eine dermaßen straff durchgezogene Racheorgie mit excellenter Detaildarstellung gesehen. Ab dem 10. Toten habe ich dann aufgehört zu zählen, sondern mich ganz der lüsternen und knallharten Mordorgie hingegeben. Der Lohn war eine vorzügliche Entspanntheit und ein Lächeln nach dem Kinogang. Popcornmordorgie vom Feinsten.

Man möge mir also sehr wohl bittschön sagen, was gewaltverrherrlichend ist. Wie wird das definiert?. Dann wäre ich auch bereit, darüber nachdenken zu wollen. Solange das aber unterbleibt, ziehe ich mir lieber noch ein paar ordentliche Thriller auf Vorrat rein.

Dauerbrenner des Jahres und der nächsten Monate. Das Zensurgesetz.

Besser gesagt, die Bestrebungen der Machthabenden, eine für Zensur geeignete Infrastruktur aufbauen zu lassen, die irgendwann gewährleisten soll, das eine totalitäre Meinungskontrolle und -zensur umgesetzt werden kann.

Immer dann, wenn einem deutschen Staatsbürger, der möglicherweise nicht so aussieht, wie sich der Stammtischbruder einen deutschen Staatsbürger visuell vorstellt, immer dann melden sich die zwei daran Geld verdienenden Vereine und Claudia Roth zu Wort, man möge bitte auch antisemitische, neonazistische und linksradikale Meinungen verbieten. Kurz darauf schwappt das ganze Gesülze dann durch alle Medien. Wortgleich, kritiklos und der Substanz nach sinnfrei.

Dann hatten sie kurzzeitig mal zu tief ins Glas geschaut und delirierten über die komasaufende Jugend. Daß die mittlere und ältere Generation genauso trinkfest ist, hatten sie in ihrem Rausch übersehen, dafür aber die Forderung nach strengeren oder neueren Gesetzen aufgemacht.

Ich hinterfrage solche Forderungen nach Verboten und neuen Regeln schon, denn es sind immer wieder die gleichen Säue, die die Sau durchs Dorf treiben. Äh, Tippfehler, es werden seit Jahrzehnten immer wieder die gleichen Säue durchs Dorf getrieben. Mit einem Unterschied. Mit der Existenz des Internet kehrt sich das um. Die Sau ist nun der Treiber, wie vielfach nachgewiesen wurde.

Nun kommt also ein Häuflein Praktikanten an und darf das Sommerloch füllen. Da die beiden intelligenten Redakteure im früheren Nachrichtenmagzin, jetzt boulevardesken und staatstragenden Wochenblatt, beide im Urlaub sind, schaffen sie es sogar, ihre Fieberphantasie auf den Titel zu hieven.



Wir haben genug grottenschlechte Gesetze und Regeln, angefangen beim Grundgesetz, über die Sondergesetzgebung, die in den 70er Jahren in der BRD entstand, bis hinzu Hartz IV, die aktuelle Terrorgesetzgebung und die Verschärfung diverser Sondergesetze. Nicht mitgezählt die Versuche, Sicherheits- und Zensurbehörden weitere Befugnisse zuzuschanzen, um die Kontrolle über das Volk noch effizienter zu gestalten.

Wir haben freiwillige Selbstkontrollen für jede Lebenssituation, die KJM, eine BpjM, Vereinssatzungen für Karnickelzüchtung, Regularien für Mösenleckerwettbewerbe, das sind Ausstellungen, wo Frauen kleinen Hündchen in der hohlen Hand tragen, und vieles mehr.

Sicher, auf ein schlechtes Gesetz mehr oder weniger kommt es nun auch nicht mehr an. Doch was sollte denn in einem solchen Gesetz drin stehen? Und was soll es ändern? Ein solches Gesetz würde gar nichts ändern. Das veränderte Urheberrecht hat nichts geändert, das Raucherdiskriminierungsgesetz hat nichts geändert usw usf.

Ich grusel mich schon vor dem Tag, an dem die Bundesregierung ihre diesbezügliche Expertisen zu Gewalt, Internet und Kindesmißhandlungen dem besorgten Bundestagsplenum vorstellt.Verfertigt von der Pfeife mit drei F.

Der Gesetzgeber ist ja nicht mal in der Lage, präzise anzusagen, was Pornografie ist, auch nicht, was er unter Kinderpornografie versteht. Stattdessen werden Formalkriterien als Ersatz für inhaltliche Bestimmungen genutzt, die, gründlich hinterfragt, einfach nur lächerlich sind. Wie soll dieser Gesetzgeber also sagen können, was gewaltverrlichend ist und was nicht? Er kann es gerne machen. Das interessiert die internetaffinen Mitbürger jedoch nicht. Es ist ihnen vollkommen wurscht.

Die Problemlage, um die es hier geht, ist eine ganz andere. Es geht einmal um Medienkompetenz. Diese Problematik ist so alt wie dieMenschheit. Sie begann, als die Neandertaler ihre sexuellen Phantasien und Mordgleüste in die Höhlenwände ritzten. Heute zählt das allerdings als antike Kunst und wird als erhaltenswertes Kulturgut der Menschheit eingestuft.

In jeder Epoche der Menschheit hatten sich die Bewohner des Planeten die kulturellen Rezeptionsfähigkeiten auf's neue anzueignen, denn in den Genen ist das nicht hinterlegt. Es wird jedoch über lange Zeiträume kulturell tradiert. Hier wäre also ein Ansatzpunkt der Diskussion versteckt, der so neu nicht ist, aber in den Schrottmedien überhaupt keine Rolle spielt.

Zum zweiten haben wir seit 20 Jahren das Internet. Wir haben es. Das Internet selbst existiert da schon weitaus länger.

Und genau hier liegtdas Kernproblem. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit gibt es ein Medium, das von der herrschenden Klasse weder verstanden, noch kontrolliert oder gesteuert werden kann. Die herrschende Klasse hat die geistige Kontrolle über das Volk verloren und wird sie auch nicht wieder zurück erlangen. Denn das Internet als solches läßt sich nur brachial kontrollieren oder gar nicht. Ein Mittelding gibt es hier nicht.

Und dieses verfluchte Ding Internet wird von den Menschen als das genommen, was es ist. Eine gigantisch große Spielwiese, auf der alles, aber auch wirklich alles, erlaubt ist. Verbote kümmern niemanden, weil Verbote im Internet nicht funktionieren. Das ist die Erfahrung, die man bei intensiver Nutzung des Internets macht. Und die interaffinen Menschen kosten das weidlich aus. Zu Recht.

Es macht also keinen Sinn, irgend etwas zu verbieten, weil dasInternet inter ist. Nicht deutsch. Wird "World of Warcraft" per Lex Computerspiel verboten, zieht ein großer Teil der Gemeinde im Internet einfach um und sucht sich einen neuen subkulturellen Raum. So einfach funktioniert das.

Die herrschende Klasse hat die geistige Macht über einen Großteil der Bevölkerung verloren, hinkt dem Volk in der Nutzung des Internet um Jahre hinterher, versteht dieses nicht, benutzt es zum Ausdrucken und zur Verfielfältigung ihrer Propaganda, merkt aber nicht, daß dieser Scheiß niemanden wirklich interessiert.

Was wir nun seit wenigen Monaten in einer Intensität wie nie zuvor immer wieder erleben, ist der Versuch, diese Kontrolle mit vollkommen unwirksamen Mitteln zurück zu gewinnen.

Aber nur noch die ganz bescheuerten Landesbürger glauben, der Tatort im Ersten sei ein Genuß und höchste Kunstform staatlich sanktionierterGewaltverherrlichung, der Musikantenstadl eine Hochform der Sangeskunst und der Videopodcast des deutschen Kanzlers, Angela Merkel, Popart. Selbst mit einem ganzen Kasten des urwaldschützenden Gebräus im Bauch lassen sich das Elend von Tatort, völkischen Sangesbrauchtums und politisches Gewäsch nicht ertragen.

Die herrschende Klasse hat die meinungsbestimmende Deutungshoheit dank der Existenz des Internet längst verloren. Sie weiß es nur noch nicht, ahnt es aber.

Ich weiß es.

Es wurmt sie noch viel mehr, daß sich unter Zuhilfenahme des Internets kein Geld verdienen (Profit erwirtschaften) läßt. Von wenigen Ausnahmen mal abgesehen. Genau das ist die Triebkraft der Regulierungsbestrebungen. Ein Internet, das keinen Profit abwirft, ist für die Wirtschaft inakzeptabel.


Was uns der Titel der staatlichen Wochenzeitschrift eigentlich sagen soll, das ist etwas ganz anderes. Es wäre ehrlicher von Führers Leibpostille gewesen, statt des verschwurbelten Titels, gleich den 1. März 1933 zu recyceln. Das ist die Aussage, um die es geht, da sie die Intention des Sturmgeschützes der Mediokratie am präzisesten widergibt.



P.S.: Ich habe den Spiegelartikel zum Thema nicht gelesen und werde dies auch erfoglreich zu vermeiden wissen. Denn erstens habe ich so eine Ahnung, was die Praktikanten aufschreiben mußten. Zweites ist der aus purem Eigennutz verfertigt worden. (siehe Fettdruck) Drittens habe ich mich bisher nur am kategorischen Imperativ des Titels abgearbeitet. Mir schwant Schlimmes, wenn ich daran denke, in was für Arbeit es ausartet, das dumme Geschreibsel der Internethasser auseinanderzunehmen.

Im übrigen, das Internet braucht keine neuen Regeln. Und wenn, dann technische, die die Bits und Bytes effizienter durch die Leitungen flutschen lassen. Es zeigt nur einmal mehr, daß im Spiegel niemand weiß, was das Internet ist. Die wissen ja auch bis heute nicht, wie ein schnöder Link auf eine Quelle in einem Artikel platziert wird.

Ich entschuldige mich beim geneigten Leser hiermit für die Länge des Artikels, denn sowas ist man ja von mir nicht gewohnt. Einmal im Jahr muß es jedoch auch mir gestattet sein, einen Blogbeitrag zu verfassen, der mehr als drei Absätze hat.