28. Juli 2010

Café Ehrenburg

Die Scheinheiligkeit treibt manchmal seltsame Blüten und kommt über Umwege daher.

Ich weiß ja auch nicht, wo die Silke abgeblieben ist, die eigentlich gestern kommen sollte. Oder heute. Oder sie kommt erst morgen.

Bereits am gestrigen Abend kurbelte ich bei lauschigen 27 eiskalten sommerlichen Graden noch eine Stündchen am Tretlager meines Rades.

Heute rief dann ein Kumpel an, der vor einigen Tagen per email ein Treffen vorschlug, bevor er sich für 4 Wochen auf die griechischen Inseln verdrückt. Da wir das einmal im Vierteljahr tun, stand dem nichts im Wege. Nur das viele Brennholz und die Sandsäcke, die ich eiligst wegen der heranziehenden Eiseskälte noch geordert hatte. Keller hatte ich eh wegen der zu erwartenden Sturmflut zugenagelt, Fenster auch.

Genutzt hat es nichts, denn heute Mittag rief er an, er hätte frei genommen, weil die Handwerker kämen. Die kamen überpünktlich. Seinen Zahnarzttermin hat er auch vorverlegt, so daß wir uns nach 17 Uhr treffen könnten. Du meinst doch nicht etwa, ich soll dich nach dem Zahnarzt etwas trösten, kannste vajessen. Nee, nee, ist doch nur Zähneputzen, für Geld. Prophylaxe.

Gesagt getan, hab ich aufgesattelt und bin sommerlich gekleidet eine schöne Strecke bis fast zum Straußberger Platz in Berlin geradelt, denn das Café Ehrenburg befindet sich in fußläufiger Entfernung eine U-Bahnstation entfernt.

Ehrenburg, da könnte man ja eine Menge drüber schreiben. Habe mal ein oder zwei Bände von ihm über den zweiten Weltkrieg gelesen. Spannend, interessant und manchmal auch den dicken Daumen direkt auf die offene Wunde. Knackige Sprüche konnte der schon.

Wir hassen die Deutschen nicht nur, weil sie niederträchtig und gemein unsere Kinder morden, wir hassen sie auch deshalb, weil uns von allen Worten, die den Menschen zu eigen sind, nur das eine geblieben ist: Töte! Wir hassen die Deutschen deshalb, weil sie das Leben bestohlen haben.

Ich weiß nur nicht, ob das heute überhaupt noch zitierfähig ist.

Jedenfalls fiel mir beiläufig ein, daß bisher noch kein Gutmenschkollektiv auf die Idee verfallen ist, dem Café den Garaus zu machen, wo der Name doch möglicherweise suspekt ist und das Café selber erst ab über 18. Steht jedenfalls so an der Tür.

Das brachte mich auf die lukrative Idee, da ich zuweilen selbst ein herzensguter Mensch bin, selber eine Ich-GuteMensch-AG zu gründen, um die bisher nicht verplemperten Fördergelder im Kampf gegen lechts und ringsrum abzufassen, zumal es im Osten keine Linksradikalen gibt, die man mit Geld bekehren könnte. Ist doch eigentlich noch viel besser. Ich gründe so ein linksradikales Sturmkollektiv, das die nächste Revolution vorbereitet, ich muß da ja nichts machen, und mit meiner Ich-GuteMensch-AG mache ich dann Sozialarbeit mit mir und faß die Knete ab. 6 Millionen Euronen, die keiner haben will, das ist einfach zu verlockend, als daß man sich da nicht den Kopf drüber zerbricht, wie man an den Freßnapf rankommt.

Muß ich nochmal durchdenken wie das funktioniert, hab mir in dem Spiegel-Artikel bisher nur den Header durchgelesen. Der war mir schon verworren genug. Da kapier ich dann am Ende wahrscheinlich wieder nicht, was die mir eigentlich sagen wollten.

Ich schweifte ab, oder wie das heißt. Also, ansonsten ist das Café Ehrenburg schmucklos. Ein Stapel Holzmedien am Tresen, ein laufender Meter Ehrenburg im Bücherregal und jeweils anderthalb der blauen bzw. braunen Reihe. Vollständig, wie es sich gehört.

Irgendwann kam dann die brennende Frage auf, weil doch sein Notebook nicht mehr startet und er jetzt 4 Wochen weg ist, ob ich mir das nicht mal in der Zeit anschauen könnte. Oha, daher wedelte also der Wind. Notebooks hab ich aber noch nie aufgeschraubt, da kann ich nur sehen, was ich von außen tun kann und ein paar tricks ausprobieren, mehr nicht. Wäre ihm auch wichtig, denn da sind noch wertvolle Daten drauf, die, so es ginge, gerettet werden müssen. Seine musikalische Seels nämlich.

Na gut, schau ich mir an. Aber ohne aufschrauben. Im Gegenzug krieg ich von ihm ein Manfrotto mit Kugelgelenk zum testen, das ich am Freitag in den Tierpark schleppen werde, um auch mal wild gewordene Affen zu fotografieren und meine Mutter etwas zu bespaßen.

So. So sieht sie also aus, die schöne gute alte Karl-Marx-Alle, mitten in der Eiszeit, die Silke uns brachte, bei lauschigen Temperaturen. In die U-Bahn regnets rein, ergo wird alles aufgerupft und eine neue Decke eingezogen, die dann nicht mehr reinregnen läßt. Behaupten sie jedenfalls.

Kommt alles von den Militärparden, die die DDR dort abhalten ließ. Doch soweit ich mich entsinne, waren die hinter dem Strausberger Platz stadteinwärts und die Bereitstellungsräume für das schwere Gerät befanden sich hier jedenfalls nicht mehr.

Und Silke läßt auch auf sich warten.

andere können das besser als ich
andere können das anders als ich
andere können das größer als ich