14. Dezember 2010

früher hatten wir immer Winter



Weihnachten minus 25 Grad? Und wo?
Wir heben's mal zur Wiedervorlage auf.
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An der Kasse staute es sich leicht, ich war die Nr. 3 und hinter mir stand niemand mehr. Derweil erörterte eine Rentnerin der jungen Kassiererin, wie früher der Klimawandel war.

Früher hatten wir immer Winter und da wurde nicht so'n Aufriß gemacht. Ist die neue Werbung schon da?

Nein, das Auto hat es bei dem Wetter noch nicht geschafft.

Früher wär sie da gewesen, wenn es Werbung gegeben hätte.


Um den Kassiervorgang zu beschleunigen, warf ich in die Debatte ein, daß früher auch S-Bahn und Straßenbahn gefahren sind, wenn drei Schneeflocken ihren PLatz für eine erbauliches Verkehrschaos suchten.

Genau, früher gab es sowas alles nicht wie jetzt. Da war Winter, alles ist gefahren und niemand hat sich beschwert.

Ich habe auch lange überlegt, seit wann ein paar Schneeflocken für derartigen medialen Aufriß sorgen. Ich bin 4 Jahre lang zur Schule gefahren, Bus, S-Bahn und U-Bahn oder Straßenbahn, je nach Strecke. Eine Stunde hin. Eine Stunde zurück.

Anschließend ziemlich an die 15 Jahre mit der Eisenbahn. Woche für Woche, Monat für Monat.

Ich kann mich nicht entsinnen, daß es da zu wochenlangem Niedergang des öffentlichen Verkehrs gekommen ist. Die beiden harten Winter 78/79 und 79/80 mal ausgenommen. Aber da war es wohl auch nur um die 2 Tage, dann rollte wieder alles.

Ich hatte vor 10 Tagen bei lecker Grillrippchen die Gelegenheit mir von einem Reichsbahner die technischen Hintergründe erläutern zu lassen, warum die S-Bahn auf der letzten Radnabe fährt.

Der Fachauskenner hat es ganz einfach erklärt. Das ist keine technisches, sondern ein finanzielles Problem. Die haben die S-Bahn kaputt gespart. Früher gab es genug Leute und Werkstätten, die auch bei miesestem Wetter die Züge flott machten und auf Strecke schickten. Und bei der Eisenbahn war auf jedem größeren Bahnhof ein Wagenmeister, der konnte mal einen Wagen aushängen, den Zug neu zusammenstöpseln und wieder rollen lassen. Wenn's schneit, müssen die Züge rollen. Und genau das haben wir früher gemacht.

Und wieso, so hakte ich nach, wird bei einem einstündigen Ausfall der S-Bahn alle 3 Minuten ein Zug zur Endstation geschickt, statt bei mir jeden zweiten rauszuziehen und von dort wieder in die Stadt zu schicken, damit die Leute wegkommen? Da ist doch 'ne Weiche, also leichtes Spiel für den Fahrdienstleiter.

Wenn drei Schneeflocken auf den Schienen liegen, dann wird nur noch gerade Strecke gefahren, die haben Schiß, daß die Weiche eingefroren ist und nicht mehr zurückgestellt werden kann, dann kriegen sie ihn am Arsch.

Aber früher ist doch alles gefahren?

Ja, da ist aber auch alle 5 bis 10 Minuten ein Zug gerollt und die Weichen wurden manuell aufgetaut. Gibt es nicht mehr, wurde alles eingespart. In Lichtenberg gab's früher mal 'ne Dampflok, die den ganzen Winter für das riesige Gelände die Weichenheizung sichergestellt hat. Abgeschafft. Nun haben sie das Problem.

Öffentlicher Verkehr bedarf eines Mindesteinsatzes an Personen, nicht an Verwaltungsangestellten, sondern an Leuten, die bei Wind und Wetter ihre Arbeit machen. Schnee schaufeln, Weichen auftauen, Züge umfädeln. Das gab es früher alles, aber das war in der DDR. Und da gab es immer Winter, ganz schnöden Winter, wie er in jedem gut geführten Jahreskalender annonciert ist.

Ich bin ja mal gespannt, wieviel Zentimeter Klimawandel morgen vor der Haustür lügen (sic!). Auf'm Balkon sind es schon 3. Alle drei sind noch schneeweiß.