9. Januar 2011

Gysi auf Tuchfühlung mit Gespenstern

Ich habe keine persönlichen Risiken gescheut, mir einen Wecker ausgeborgt und bin in aller Herggottsfrühe gen Friedrichsfelde. Ich wollte wieder mal Promis ablichten. Abgesehen davon, daß Geld verdienen müssende Fotografen sich wie Ochsen benehmen, ging das ganz gut. Einige blaue Flecken, ein Rippenbruch, zwei, drei Kinnhaken und eine Wirbelverrenkung, also das übliche Gerangel, um auch keine besseren Bilder als meine in die Redaktion zu tragen.

Egal. Das Wort Kommunismus hätte auch eine clevere Marketingstrategie sein können, um so viele Besucher als möglich an die Gedenkstätte der Sozialisten zu locken. Hat nicht sollen sein. Es waren so wenige Menschen wie seit langem nicht. Und da ja die Frequentierung des Gedenkens an Liebknecht und Luxemburg auch immer ein Füllhorn für die politischen Kaffeesatzleser und Zukunftsorakler ist, zwei kleine Einflußfaktoren. Es war ekliges Schmuddelwetter mit Regen und feuchter Kühle. Die S-Bahn macht übers gesamte Wochenende Erholungspause und fährt den Bahnhof Lichtenberg nur sporadisch an, da am Ostkreuz irgendwas gebaut wird.

Die Demo kam dann lange, nachdem ich mich heimgesucht habe. Das werden möglicherweise nochmal 15.000 gewesen sein. Ich lehn mich mal aus dem Fenster. Wenn es heute viele waren, dann maximal 20.000.

Ja, da standen sie nun rum, die Kommunisten, demokratischen Sozialisten, soziale Demokraten und Heiden und Christen und blickten dem Kommunismus ins Angesicht. Kurz, um sich dann jeder wieder mit seinesgleichen zu beschäftigen.

Aber, das muß hier gesagt werden, als es daran ging, den toten Kommunisten Liebknecht und Luxemburg einen stillen Gruß zu erweisen, da war man ganz auf Tuchfühlung mit den Kommunisten, mit deren virtuellem Leichentuch.

...heute erleben wir den Moment, wo wir sagen können: Wir sind wieder bei Marx, unter seinem Banner...

Der totgeredete, geschriebene und orakelte Kommunismus, damit konnten sich alle arrangieren. Mit dem fleischgeworden neben ihnen nicht. Ich habe nur am Rande mitbekommen, was Gysi den Reportern reportierte, daß der Kommunismus für Partei, Fraktion und überhaupt keine Rolle spielt und auch nicht auf der Tagesordnung steht. So ungefähr jedenfalls ging der Spruch.

Schön, die Unfreiheit der Andersdenkenden, ihren Idealen nachzuhängen, gewährt mir alle Freiheiten. So könnte man es auch betrachten.

Davon abgesehen hab ich eine Kumpel wiedergetroffen, mit dem ich bei der Fahne zusammen in einem Bett geschlafen habe, in manchem Dreckloch übernachtete und etlichen Blödsinn veranstaltete. Das war dann für mich eh wichtiger, einen längeren Tratsch zu veranstalten.

Ganz beiläufig bekam ich dann auf dem Nachhauseweg auch die jüngsten Gerüchte des jüngsten Gerichts mit. Sind auch interessant. Ernst macht nicht mehr lange und stolpert über eine Dienstwagenaffäre, die keine ist. Und Lötzsch ficht das alles nicht an, die hat genug Rückendeckung im Osten, denn der lacht sich kaputt über die strunzdumme Westpresse, die beim Wort Kommunismus wie Ratten aus den Löchern gekrochen kam.

Kurz vor dem Heimgang traf ich eine Bekannte, die noch auf jenen Friedhof fahren wollte, auf dem die Asche ihres Mannes als auch die meines Vaters verbuddelt wurde, um dort jeweils eine Nelke abzulegen. Tja, das ist das erste Mal, daß ich nach dem Besuch in Friedrichsfelde meinem Vater keinen Bericht abliefere, denn die Jahre vorher, seit er selber nicht mehr konnte, war ich immer für zwei dort gewesen.

Alle Fotos in der zeitlichen Reihenfolge ihres Entstehens zwischen 08:50 und 10:38.