25. Mai 2014

Grundgesetzversteher

Wenn das Herz überquillt, die emotionale Aufgewühltheit einen schier zerreißt, der Gedankenreichtum Mitteilungsreife erreicht hat, um sich der Seelenqualen zu entlasten, dann muß man das in aller epischer Breite in die lyrische Form gießen. Was dem Nobelpreisdichter das große Poem, das ist dem kleinen Manne der wortgewaltige Zweizeiler, so eine Art Israel-Gedicht für deprimierte Sonnenanbeter.

17 Grad, Sonnenbad, so lag ich vor mir.
Himmel grau ohne blau, Depriwetter hier.


Das mußte mal gesagt werden.

Die Grundgesetzversteher hatten zu einer Art Jahreshauptversammlung geladen und alle waren gekommen. Die der Demokratie, dem Rechtsstaat, den deutschen Menschenrechten verpflichtete und den Bürgern helfende Polizei hätte leichtes Spiel haben können, denn eine solche Übung beherscht die aus dem Effeff. Einkesseln.

Eine Einsatzhundertschaft am Vordereingang, die zweite am Hinterausgang, das SEK wird in den Saal gescheucht, um martialische Kommandos zu brüllen und den Verstehern des Grundgesetzes überlebenswichtige Verhaltenstipps zu geben. Ein Gigaliner vorne, einer hinten, und das Problem mit jenen Deutschen, die in schöner Regelmäßigkeit als Verfassungsfeinde verurteilt werden, wäre gelöst gewesen. Das ist nicht passiert, so daß uns als Trostpreis nur die literarische Nachbereitung des Ereignisses bleibt.

Am besten gelang dies ausgerechnet den Grundgesetzverstehern der BILD, die ihre Homestory aus Verbrecherkreisen mit 65 Jahre Grundgesetz sind ein Eklat betitelten. Oder so ähnlich.

12.216 Wörter umfaßt die momentan redigierte Fassung deutscher Verfassungsprosa. Wieviele Worte in diesem Berg von Wörtern versteckt sind und was uns diese sagen sollen, daren arbeiten doie besten deutschen Literaturnobelpreisträger, um im fairen Schreibstreit ihre Romane, Epen, Essays und Mehrzeiler zur Deutung dieser komplizierten Schrift vorzulegen, um uns Deppen mit ihren volksnahen Ausdrucksformen und Stilmitteln den Sinn dieses Kunstwerkes zu verklickern.

Demnächst auch als Stummfilm in ihrem Multiplex-Kino. Frank-Walter Steinmeier, rhetorisch begnadeter Spottpalastredner, liest die spannendsten Passagen aus dem Grundgesetz in leichter Sprache.