13. November 2011
Doku Deutschland: Verfassungsschmutz
Derzeit gibt es zwei Denkschulen über unsere Geheimdienste. Die eine Schule ist davon überzeugt, dass ihr Personal aus mörderischen, mächtigen, ein doppeltes Spiel treibenden Zynikern besteht, die andere, dass der Steuerzahler eine Ansammlung von Stümpern, kaputten Typen und Tagedieben finanziert.
John Bingham
Das Problem mit den Geheimdiensten war dasselbe, das auch andere Leute haben: sie können eine verdammt große Menge von Dingen zugleich sein, gut und schlecht, kompetent, inkompetent, an einem Tag unverzichtbar, am nächsten Tag ein Loch im Kopf.
John le Carré
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BILD erfuhr aus Sicherheitskreisen, dass in den Trümmern der Neonazi-Wohnung „legale illegale Papiere“ gefunden wurden!
„Solche Papiere erhalten im Regelfall nur verdeckte Ermittler, die im Auftrag des Nachrichtendienstes arbeiten und vom Nachrichtendienst geführt werden.“
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Der Präsident des Thüringer Amtes für Verfassungsschutz, Thomas Sippel, sagte FOCUS, er habe kurz nach seiner Amtsübernahme im Jahr 2000 intensiv überprüfen lassen, ob die drei mutmaßlichen Terroristen, damals bekannt als die „Bombenbauer von Jena“, irgendwann einmal als Informanten für den Verfassungsschutz gearbeitet hätten. Laut Sippel wurden sämtliche Akten geprüft und alle Mitarbeiter befragt. Es habe sich kein Hinweis ergeben. Dennoch seien damals „letzte Zweifel nicht beseitigt“ worden. Auf die Frage, ob er sich vorstellen könne, das sein Amtsvorgänger Helmut Roewer Quellen auf eigene Rechnung geführt habe, antwortete Sippel: „Das wäre sehr ungewöhnlich. Aber es wäre denkbar“.
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Ich heiße Jochen. Eigentlich nicht. Ich hieß auch schon Lothar, Werner oder Klaus. Je nachdem, was ich so zu tun hatte. Einen Namen muß ich aber haben, wenn ich meinen Auftrag erledigen will. Man will ja miteinander reden können. Nennt mich einfach Jochen. Spielt keine Rolle mehr, denn meine Tage sind gezählt.
Ihr habt ja gehört, was passiert ist. Die haben eine Braune-Armee-Fraktion ausgehoben. Großer Fahndungserfolg der Polizei, hieß es in der Presse. Naja, zwei tote Bankräuber, ein ausgebrannter Wohnwagen, ein total zerstörtes Haus. Ich weiß nicht, ob das ein großer Fahndungserfolg ist, wenn die Polizei auf solche Maßnahmen angewiesen ist.
Außerdem war alles ganz anders. Der Reihe nach.
Wir hatten Mitte der 90er Jahre ein Problem mit den Nazis. Ein richtig großes. Die gingen den Leuten auf den Sack, waren penetrant und nicht erwünscht. Politisch. Sie störten die bürgerliche Ruhe. Ganz anders die Linken. Die wurden gebraucht, um politische Forderungen aufs Tableau zu hieven. Darum wurden sie in Ruhe gelassen. Es waren nützliche Idioten. Und, das muß mal so gesagt werden, die Chancen, bei denen anzulanden waren bescheiden bis gering. Die witterten hinter jeder Ecke einen Spion. Das machte es außerordentlich schwierig, sie zu infiltrieren.
Ganz anders bei den Nazis. Die waren dumm genug, jeden der ihre Sprache sprach und Geld ranschaffen konnte als einen der ihren zu akzeptieren. Es dauerte eine Weile, dann waren wir drin. Wenn ich sage wir, dann meine ich meinen Chef und mich. Wir hatten es uns zur Aufgabe gemacht, die Rechten empfindlich zu stören und haben uns ein kleines Netzwerk aufgebaut. Am Anfang lief alles ganz gut, alle für uns wichtigen Informationen trudelten rechtzeitig bei uns ein, so daß wir reagieren konnten. Doch schon nach einem Jahr liefen die Dinge anders als erwartet.
Nicht, daß die Lunte gerochen hätten. Nein. Die hatten Spaß an der Sache gefunden und waren nicht mehr zu bremsen. Sie hatten sich Fähigkeiten angeeignet, die von uns nicht mehr gesteuert werden konnten. Sie waren selbständig geworden.
Das war ein Problem. Ein riesen Problem. Die wollten sich eine neue Welt herbeibomben. Mit unserem Geld, dem Geld der Steuerzahler. Heilige Scheiße. Ein ganzes Wochenende lang habe ich mit meinem Chef darüber gstritten, wie wir heil aus der Sache rauskommen. Am Schluß waren wir uns einig. Wir lassen sie spektakulär hochgehen. Die Polizei bekommt einen Tipp, der Rest ist deren Angelegenheit.
Das war ein Fehler. Die Polizei war nicht auf der Höhe der Aufgabe, hat die Brisanz der Geschichte nicht erkannt und ihren Polizeistiefel gemacht.
Hinzu kam ein zweiter Fehler. Der harte Kern der Truppe, der wurde nur von mir geführt. Niemand wußte Bescheid. Niemand hat einen Tipp bekommen, daß im Großen und Ganzen etwas Kleines Kaputtes versteckt war, eine militante Bombertruppe.
Es war purer Selbsterhaltungstrieb damals, daß ich die habe laufen lassen. Die hatten mir die Pistole auf die Brust gesetzt. Im wahrsten Sinne des Wortes. Eine Reihe ihrer Leute war schon aufgeflogen. Beim nächsten Treff haben sie mich gar nicht erst zu Wort kommen lassen, sondern schlicht ihren Abgang verlangt. Mir blieb nichts weiter übrig, als die versprochene Löhnung und ein paar Papiere rüberzureichen. Die hätten mich sonst eiskalt abgeknallt, wie die späteren Ereignisse zeigten.
Die haben damals, das war um die Jahrtausendwende, ziemlich viel Wind gemacht im Amt. Die suchten den Führungsoffizier der Bande. Den gab es aber nicht, weil mein Chef und ich dicht gehalten haben. Damit war allen gut gedient. Die Nazis in Thüringen waren aufgeflogen. Die Angelegenheit hat viel Papierstaub aufgwirbelt, die Politik war's zufrieden, wir waren sauber, die Polizei hat es als ihren Erfolg verkauft, auch wenn er schmählich war. Die Sache hätte einschlafen können.
Ich hatte nie wieder Kontakt zu meiner Verbindungsdame. Zehn Jahre lang habe ich nichts von ihr gehört. Nur eine dumpfe Ahnung hatte ich die ganze Zeit. Ich lese ja auch Zeitung und kann mir meinen Teil denken. Nicht, daß ich geahnt hätte, daß sie sich zu Serienkillern entwickeln. Woher auch. Daß es schwere Jungs waren, das wußte ich. Daß sie ganz üble Burschen waren, das blieb selbst mir verborgen. Daß sie eine Blutspur durch Deutschland zogen, das dämmert mir hin- und wieder. Ohne Beweise bin auch ich machtlos.
Doch wie es der Zufall manchmal so will. Ich hatte dienstlich in Zwickau zu tun. Ich denk ich trau meinen Augen nicht. Da latschen die putzmunter durch die Straßen. Die haben sich einen Caravan gekauft und sind immer noch zu dritt.
Was sollte ich machen? Habe ich erst mal das kleine GPS-Besteck am Caravan montiert, das eigentlich für eine andere Geschichte gedacht war. Einmal konnten sie mir entwischen, weil ich noch eine Weile am Leben bleiben wollte. Ein zweites Mal passiert das nicht.
Ich habe auf die Schnelle Urlaub genommen, um mich an deren Fersen heften zu können.
Dann ging alles sehr schnell. Die Kerle fuhren weg, meine Informantin war allein zu Haus. Nach einigen Stunden Observation war klar, daß sie wirklich mutterseelenallein war.
Da habe ich sie abgepaßt, in die Wohnung geschleift und zur Rede gestellt. Das war keine Begegnung der freundlichen Art. Wie lange sie so noch weiter machen wolle, habe ich sie gefragt. Bis sie fertig seien, antwortete sie. Und dann hat sie geheult. Sie war fix und alle. Sie hat doch nie was damit zutun gehabt, immer nur Schmiere gestanden. Das war alles. Und ich hätte ihr doch versprochen, damals, ihr könne nichts passieren, weil sie ja unsere Informantin ist.
Dann klingelt ihr Handy. Die beiden Kerle haben schon wieder ein Bank ausgeräumt, jubilieren sie.
Ich klappte mein Notebook auf, loggte mich in den GPS-Tracker ein und sah mit ca. 50 Meter Ungenauigkeit, wo sie sind. Eine SMS an einen guten Kumpel tat das ihrige. Der würde die Polizei informieren.
Ich nahm der Frau das Handy aus der Hand.
„Das Spiel ist aus. In zwei Minuten ist die Polizei da. Macht, was ihr für richtig haltet. Macht ihr einen Fehler, spielt das SEK mit euch Tontaubenschießen.“
Damit waren wir quitt. Meine offene Rechnung war beglichen.
„Und ich? Was passiert jetzt mit mir?“
„Kommt drauf an, was du auf dem Kerbholz hast.“
„Nichts, fast nichts. Ich hing nur mit drin, hab aber nie was gemacht.“
„Wer steckt noch alles mit drin?“
„Keine Ahnung, das haben die Jungs immer alleine ausgemacht. Ich weiß es nicht. Was nun, was passiert mit mir? Ich kann doch jetzt nicht hier bleiben? Die knallen mich doch ab, wenn sie die Bude stürmen.“
„Geh zur Polizei und sag kein Wort. Mehr kann ich dir auch nicht raten. Bei denen bist du erst mal sicher. Für ein paar Tage. Die haben nämlich keine Ahnung, was ihnen da aufs Revier gespült wurde.“
Der Rest war dann Routine. Die Wohnung sah aus wie eine Asservatenkammer. Ein Beweisstück neben dem anderen. Möglicherweise auch Dokumente, die Rückschlüsse auf mich zulassen.
Es bestand keine Chance, all den Krempel zu vernichten. Realistisch betrachtet hatte ich vielleicht ein oder zwei Stunden Zeit, dann würden die Polizisten in Eisenach wissen, wie der Hase läuft. Es ware harte Arbeit, die Bude so zu präparieren, daß nur noch ein Trümmerhaufen von ihr übrigbleiben würde. Es wurden dann doch drei Stunden.
Rumms, weg war sie.
Sie auch. Warum ich sie habe laufen lassen? Sie war meine Informantin. Das verpflichtet. Zu nichts.
Wie eingangs schon erwähnt. Meine Tage sind gezählt. Der Altar der Demokratie verlangt nach einem Menschenopfer. Falls ihr jetzt denkt, es würde einen Regierungsdirektor treffen, dann denkt ihr falsch. Wir sind eine Regierungsbehörde, Beamte. Da hängt man die Kleinen. Wie im richtigen Leben.