4. Juli 2009

das Lumpenproletariat auf dem Catwalk

"Das kann doch nicht wahr sein. So viele gut aussehende Menschen an einem Platz. Ihr seid phantastisch gut aussehend und wir können nicht glauben, daß ihr aus Berlin seid. Ihr seid doch alle nur wegen der fashion week hier."

Das Lumpenproletariat ließ sich nicht lumpen, zog das schmuddeligste T-Shirt über den Bierbauch und pilgerte bei ausnahmsweise angenehmen Wetter in die Berliner Wuhlheide, um den Toten Hosen zu huldigen. Oder zu lauschen. Oder sie zu feiern.

Andreas war es nicht, der diesmal die Vorband ankündigte. Es war Andreas. Der andere. Aber die gute Tradition bleibt, man kümmert sich persönlich um sein Gäste. Was das Lumpenproletariat wiederum überhaupt nicht kümmerte.

Es war damit beschäftigt, die Strapazen der beschwerlichen Anreise durch Komasaufen zu betäuben, denn das, was in der Zeitung über die chaotischen Zustände der Berliner S-Bahn geschrieben steht, das ist weitaus schlimmer, wenn es im freitäglichen Feierabendverkehr darum geht, 20.000 prekäre Mitbürger zusätzlich zum heimwärtstrebenden Arbeitsvolk binnen 2 Stunden ins Grüne zu transportieren.

Chaos pur.

Alles wurscht. Die Vorband konnte man vergessen. Hab ich bei den Hosen lange nicht erlebt. Eigentlich haben sie immer solide Klangkörper für die Aufwärm- und Einheizphase.

Aber dann ging's los. Tacho von 0 auf 100 innerhalb einer zehntel Sekunde und nach 2 Stunden 10 Minuten bei 200 sofort auf 0 zurück. Wenig bis keine Pausen.

Wer der Chef im weiten Rund ist, wurde ebenfalls am Anfang klar gemacht. Campino rüffelte die Grabensecurity, er möchte nicht noch einmal sehen, wie rabiat die komatierenden Proletarier aus dem Graben geschleppt werden. Das gehe auch sanfter. Er wird das genau beobachten. Eine Stunde später lobte er die security für ihre sehr entspannte Arbeit.

Ansonsten wurde das übliche Potpouri von Tanz und Singspielen dargeboten. Alles sehr schnell, alles sehr laut, alles sehr schrill.

Kurz vor Schluß die Peinlichkeit des Abends. Campino hatte im Früstücksradio ein Gewinnspiel (die polizeilichen Beratungsstellen warnen davor!) gegen Michael Preetz verloren und wurde gezwungen, ein Hertha-Trikot mit Eisenbahnreklame anzuziehen. Aufgehoben hatte er sich die Aktion natürlich für "Bayern". Ein gellendes Pfeifkonzert mußte er trotz mehrfacher Entschuldigung einstecken. Es ist ja auch ein Affront, in Freistoßentfernung zur "Alten Försterei" mit einem Hertha-Trikot ein Bayernlied zu singen.

Abgesang mit "You'll never walk alone". Abgang.

Die Rückreise war so beschwerlich, wie die Anreise, alledings hatte es die S-Bahn doch geschafft, einige Verstärkerzüge zum Einsatz zu bringen. Es war ja Nachtverkehr.

Fazit der Veranstaltung, da schließe ich mich ganz Campino an, es war deutlich besser als in der 02-Arena, denn in Berlin gibt es keine vernünftig beschallbare Rockmusikhalle. Das sind alles nur Kompromisse. Was er trotz seines x-ten Konzerts in der Wuhlheide (-1, das wegen Volltrunkenheit des Bandleaders nicht mitzählt) allerdings immer noch nicht weiß, auch die Freilichtbühne im Grünen ist eine akustische Katastrophe.

Ende August geht's ja noch einmal auf die Waldbühne. Das wird ein Ohrenschmaus.

Von den vielen zur Schau gestellten Sprüchen sind mir zwei in Erinnerung geblieben.

Campino bedankte sich trotz und gegen die Meinung anwesender Zyniker für die "Nazis-raus-Chöre", auch wenn die rausgeforderten mit 99% Wahrscheinlichkeit (Campino) gar nicht im weiten Rund sind.

Und einige hatten ein T-Shirt mit der Aufschrift "Wixen gegen Nazis". Na ja, wenn's hilft. Von mir aus.
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P.S.: Es bedarf immer noch einer Erwähnung und kann nicht oft genug wiederholt werden. Um 10 Jahr, nach wenigen Stunden Schlaf, habe ich mir via Internet für 10 Euro den live-Mitschnitt des Konzerts in voller Länge heimgelutscht und auf den iPod (alte Version) rübergeschoben. Ein Genuß.