10. April 2010

Wenn der Vater gestorben ist

dann trauert ganz Deutschland, wollte ich in Anlehnung an die Berichtertattung der letzten Tage schreiben. Mir persönlich und sehr vielen, die ich kenne, ging das Kriegsbegräbnis am Arsch vorbei. Hat mich nicht interessiert. Aber unter Deutschland machen die's ja nicht.

Außerdem geht die Überschrift ganz anders weiter.

Wenn der Vater gestorben ist, dann trete ich aus der Linken aus.

Sehr unsentimental und sachlich entfleuchte heute meiner Mutter dieser Entschluß. Selbst im hohen Alter kann frau also noch lernfähig sein.

Kannste doch auch heute machen, mußte doch nicht warten, bis Vater gestorben ist. Das hat doch damit nichts zu tun. Das habe ich darauf geantwortet. Hat sie weggewunken, denn ein bißchen hat es dann wohl doch mit Vater zu tun.

So ein Sterbevorgang birgt ja auch wenige skurrile Momente, 99% sind hingen nervliche und körperliche Belastung. Nehmen wir zum Beispiel den olympischen Dreikampf eines Sterbenden. Der ging gestern so.

Ich war wieder zum Rasieren angetreten. Es mußte zusätzlich auch dringlichst Bettwäsche gewechselt werden.

Also erstmal den Vater rasiert. Das dauert nur zwei oder drei Minuten, danach ist aber erst mal Pause, denn das strengt ihn dermaßen an, daß er eigentlich erst mal eine halbe Stunde abklingen lassen muß. Aber weil ich schon mal da war, hieß es, ihn aus dem Bett hieven, ruckzuck das Laken wechseln und ihn so schnell wie möglich wieder in die Waagerechte bekommen. Als gelernte Pfelgekraft hab ich meinen Vater in einen Stuhl verholfen und festgehalten, damit er nicht runter fällt, derweil meine Mutter das Bett schnell fertig machte.

Vater wieder reingehievt und erst mal ruhen gelassen.

Hab eingepullert. Hauchte er. Wie ein kleines Kind.

Das Lachen, das aufkommt, bleibt einem trotzdem im Halse stecken.

Schön. Stand gleich noch der Windelwechsel an. Das war dann die dritte Disziplin, die nicht minder anstrengend war wie die beiden vorherigen.

Apropos Windeln. Die stehen einem schwerst pflegebedürftigen Menschen zu. Auf Rezept von der Krankenkasse, bzw. Pflegekasse. Und weil die Gesundmacher der Barmer ja besonders schwer auf Draht sind und wie die Eumel wieseln, um uns von der Pflegearbeit zu entlasten, geht auch das seinen geregelten Gang. Und der geht wie folgt.

Antrag auf Windeln vor drei Wochen abgegeben. Antrag genehmigt. Es wird jedoch mitgeteilt, daß für die Versorgung mit Windeln im Berlin-Brandenburgischen eine Stelle in Kreuzberg zuständig sei, an die man sich wenden möge. Rezept an die Stelle in Kreuzberg gesandt. Die kümmern sich drum. Sie würden eine Probepackung mit verschiedenen Mustern schicken und wir sollen dann aussuchen, welche am besten für den Einsatzzweck geeignet sei.

Ich brauche wohl nicht erwähnen, daß die Probepackung noch nicht eingetrudelt ist und die selber gelöhnten Erwachsenenwindeln aus der Apotheke auch ihren Zweck erfüllen.

Interpoliere ich das auf die berühmte Dunkelziffer hoch, könnte als Hypothese rauskommen, die pflegebedürftigen alten Leutchen in Deutschland sterben deswegen, weil sie längst ihre Betten zugeschissen und vollgepinkelt haben, ehe die Krankenkassen überhaupt begriffen haben, worum es bei der erforderlichen Hilfe geht.

Unterm Strich heißt das: Stirb langsam ist keine erstrebenswerte Lebensendperspek- tive, denn sobald Kranken- und Pflegekasse involviert sind, ist es das reinste Märtyrium.