2. Juni 2012

War das noch Punk-Rock? - Die Ärzte im Praxistest



Wie annonciert und vorab gefreut, haben die Ärzte aufgespielt. Unsere Kleinsten verließen am Kindertag die Wuhlheide, just, als die großen Kinder sie enterten, um das gemeinsame Absingen der Lieder aus der Kindheit abzufeiern.

Los ging es mit Hip-Hüpfern, die es sich nicht nehmen ließen Bela B., der den letzten Titel mit hopte, mit provokantem Wortgut von der Bühne zu geleiten. "Tage wie dieser" sei momentan der Lieblingssong von Bela, auf daß die Hip-Hopper ein paar Worte aus "Tage wie dieser" sprachsangen.

Dies sollte nicht die einzige Referenz des Abends an die Band aus Düsseldorf sein. Mehrfach wurde auf die zeitgleich andernorts konzertierenden Hosen Bezug genommen.

Ich hatte Kopfschmerzen, Pillen eingeworfen und mir sicherheitshalber einen Sitzplatz außerhalb des Schallkegels ganz oben in der letzten Reihe versorgt. Außerdem waren es beim ersten Freiluft-Konzert des Jahres sagenhafte 12 Grad arschekalt. Nebst fürchterlichem Wind.

Und dann kamen die Ärzte. Die gut 15.000 Lauschbegierigen im weiten Rund erhoben sich von ihren Plätzen und nahmen erst wieder Platz, als sie enweder zu Hause waren oder aber einen der raren Sitzplätze in der S-Bahn ergattern konnten.

Da es elendig kalt war, waren die treibenden und peitschenden Klänge willkommen, denn sie zwangen zu Bewegung.

Die folgenden 2 Stunden und 40 Minuten wurden einfach rausgefeuert, Strom gezogen, was Vattenfall herausgab, Saiten gemartert, was die klammen Finger ermöglichten, die Trommelfelle aus Kunststoff geschlagstockt, bis sie aus den Boxen barsten. Das Publikum sang mit, tanzte und bebeifallte jubelnd jeden Song. Wie immer.

36 Titel zählt mein inzwischen vollständiger Download. Höhepunkte? Akustisch viele. Alle. Herausragend einige. "Deine Schuld", "Langweilig", die Nationalhymne der Ärzte "Schrei nach Liebe", "Westerland", na klar, und "Junge", der sowieso.

Optisch war es wohl "Langweilig", denn eine Bühnenshow fand nicht statt. Die kam aus den Boxen. Farin U. war es dermaßen langweilig, daß er seine Laola-Welle einforderte. Alles mußte sich setzen. Dann ging es von oben nach unten in den Innenraum rein. Hochspringen, Arme hochreißen und schreien. Von ganz oben sieht das einfach nur geil aus, wenn der Innenraum mit einem Schrei in die Höhe expandiert.

Dem "Schrei nach Liebe" haben Farin U. und Bela B. einige Worte mit auf den Weg gegeben.

Farin U.: Das nächste Lied...
Bela B.: Ist für unsere Freunde...
Farin U.: Jenseits der Mauer?... Das nächste Lied ist wichtig! Macht wat draus!
Bela B.: Die Toten Hosen machen was draus.


Ich weiß ja auch nicht, wieso ich mit klammen Gefühl um 23 Uhr von dannen schlich. Irgendwie hatte sich im Kopf festgesetzt, daß die Ärzte das Fest beliebter Volkslieder abgebrochen haben, als es spannend wurde. Nach 2 Stunden 40 Minuten. Das Konzert schien unvollendet zu sein.

War das noch Punk-Rock, was die Ärzte gestern ablieferten?

Die Frage ist irrelevant, weil falsch, meilenweit am Ereignis vorbei gefragt.

Die Frage muß lauten: War'n es die Ärzte?

Die Antwort ist einfach. Ja, sie warn's. Livehaftig. Ärztiger ging nicht.

Live, fast drei Stunden, mit ihren schönsten Liedern und frechsten Sprüchen, genauso, wie die Ärzte früher einmal war'n. Drei junge Männer, die keinerlei Respekt haben. Vor nichts. Nicht mal vor dem Publikum. Oder zumindest soviel, daß sie diesem, das ja gezahlt hat, an die drei Stunden Schunkel-, Hüpf-, Knutsch- und Knuddelvorlagen darboten, die dankend angenommen wurden. Mehr wollten die zahlreich erschienen Gäste gar nicht. Weniger auch nicht.

Bleibt angemerkt, was immer noch zur Wuhlheide angemerkt werden muß. Die Akustik war wie immer einfach nur beschissen. Gestern erst recht, da der Wind, so ein fettes Soundpaket mal in meine Richtung geschalldruckt wurde, dieses sogleich zerriß und in alle Winde verstreute.

Album ist Album. Konzert ist Konzert. Die Stiftung Ärzte-Test vergibt für die Ärzte im Konzert die volle Punktzahl inclusive Bonuspunkten.

Ich hörte heute des Mittags bei lecker Filetsteak die folgende Aussage:

Mensch, die Frau XYZ ist richtig neidisch auf dich. Wenn die gewußt hätte, daß du zu den Ärzten gehst, wäre sie am liebsten mitgekommen.

Fiel mir nur eine Antwort ein.

Wat hat'n die für'n Waschlappen zum Mann?

Antwort.

Na der mag doch keine Ärzte oder Toten Hosen.

Ich habe die MP3s und kann das Ereignis noch einmal in Ruhe nachhören.