26. Dezember 2014

dumme Arroganz zu Weihnachten



Frank Castorf im Interview, geführt von Hans-Dieter Schütt

Neues Deutschland 24.12.2014, S. 2/3

Unter dem in oppulenter Größe dargestellten Bild aus Castorfs Bayreuter Ring-Inszenierung lautete der Titel im gedruckten Exemplar:

"Ich brauche das Chaos, und ich liebe das Rohe"
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Wahrscheinlich ist die Welt nicht veränderbar, aber sie ist erkennbarer denn je. ... Aber das muß man akzeptieren wie einen verlorenen Krieg oder eine untergegangene Ordnung.

Deutschland führt fortwährend "die deutschen Kleinstädter" von Kotzebue auf. En suite. Der Gipfel dieses Schwanks ist der Begrieff der friedlichen Revolution. Frieden und Revolution als Paar, unfassbar. Paßt aber genau zum Land der "Goldenen Henne", die jeder kriegt, der mit einer grenzdebilen affirmativen leistung zur kleinbürgerlichen Stabilisierung beiträgt.

Die DDR-Bürger waren die professionellsten Kleinbürger der Welt.

Ein kleinpfaffiger Bürgermeister Gauck, der mich an Tartüffe erinnert, erklärt uns die Welt. So weit ist es gekommen. Angesichts dessen bekomme ich wieder Lust, etwas Böses zu sagen...

Ich leiste mir den Zynismus, mich von der Gesellschaft bezahlen zu lassen und gegen sie zu pöbeln.

Ich weiß, einem ordentlichen deutschen Linken ist das zu wenig: so ganz unten und trotzdem souverän zu sein. Aber es gibt auch eine Sinnlichkeit der Aushaltekräfte. Die ist mir näher als das Trockenfuttergemüt der Seminaristen.

Wenn man in gehobene Gegenden geht, und da reicht inzwischen schon der Prenzlauer Berg, da sieht man den Kindern die Neurosen an... Da hat ja die kleine Prostituierte bei Dostojewski mehr Würde...

Ich mag da eher die Kinder, die ... so lange wie möglich noch etwas dämlich bleiben. Ich finde es ganz gut, wenn man sich ein wenig durch die Zeit lümmelt.
HDS: Was denken Sie, wenn ich sage: Deutschland?
Kotzebue, sagte ich ja schon. Wir denken, wir könnten in Höhlen afghanische Demokraten rekrutieren oder das Milliardenvolk der Chinesen so erfolgreich in unsere Menschenrechts-Pädagogik tunken, dass sie irgendwann ohne asiatische Gesichtszüge wieder auftauchen - das ist die dumme Arroganz dieser Gesellschaft.

Coca Cola ist das Erfrischungsgetränk der Plünderungsökonomie. ... die Cola ist süß, aber es ist eben eine ekelhafte Süße.
Castorf zitiert Heiner Müller
"Ich lache über den Neger, der sich weißwaschen will mit der Freiheit.
Das ist doch toll formuliert: das Scheitern einer Idee vor dem Betriebsgeist der Dinge. Dieser Betriebsgeist der Ausbeutung feixt und reibt sich die Hände hinter den Kulissen, in denen ein Kampf um Menschenrechte und Freiheit gespielt wird.

Wenn du als Künstler kein Feindbild hast, weichst du auf, wirst du Semmelbrösel. Deswegen gefällt mir, wie Peter Handke Jugoslawien verteidigt. Das hat Charakter.
HDS: Die DDR, das sind Täter, Opfer, Mitläufer. Punkt.
Das ist eine Einteilungspraxis von Siegern, die nicht wieder rausfinden aus dem Siegesrausch. Auch nach so vielen Jahren nicht. Aber Siegesrausch führt dazu, dass die Differenzierungen notleidend werden und die Nuancen sterben.

Der gegenwärtige Aufruf für korrektes politisches Verhalten lautet: Vereinfache dich und ergreife Partei! Damit verschwinden Unterscheidungen, lästige Komplexitäten und Einsichten, die den Zweifel fördern.

Vom Afghanistan- und Irak-Krieg ist doch sämtlicher Aufputz an patriotischem und weltrettendem Pathos abgefallen. Der so beflissen angestrengte Verweis herrschender Politik auf die Terrorbekämpfung ist doch längst erkannt als Vertuschung einer erheblichen, bedenkenlosen Bedrängung demokratischer Rechte. Wir führen Krieg gegen einen Terror, den wir nähren. ... Der Feind, auf den wir zeigen, der kommt aus uns selber.