Es hat eine Weile gedauert, bis es mir dämmerte, was so anders als sonst an dem Film war. Er wurde entkernt, damit er als Weltfilm durchgeht.
Alkohol wird nicht getrunken sondern in homöopathischen Dosen gezeigt. Sex findet nicht statt, Erotik ist ein Fehlanzeige. Der Held darf ein bißchen an den Lippen der Herzensdame rumknabbern. Mehr ist nicht erlaubt. Keine lasziv aus dem Meer steigende Dame mit üppigen Titten, keine nackte Schulter. Selbst als sie vermutlich nach genau 100 Minuten im Bett landen, James Bond und Madeleine Swann, wird an der Tür zum Eisenbahnabteil der Schnitt gesetzt. Insofern muß außen vor bleiben, was im Zugabteil passierte, da die Übergangsszene in das Reich unserer Phantasie, die Fummelei am Büstenhalter, eingespart wurde.
Ein einziges Mal wurde im Kino gelacht, als der kümmerliche Rest des alten Aston Martin gezeigt wurde und Q meinte, er hatte gesagt, er solle ihn im Ganzen wieder bringen, nicht ein Stück, das Lenkrad. Humorlos ist er also auch geworden, der James Bond. Das ist der Tribut an die Zeit, denn diese ist humorlos. Wir haben momentan nichts zu lachen.
Anschließend sitzen James Bond und seine Schutzbefohlene wie weiland Mundharmonika an einem stillgelegten Bahnhof in der marokkanischen Wüste und warten darauf, das etwas passiert.
Eine Moral findet nicht statt, klammert man einen Satz aus. "Du bist ein guter Mensch."
Es sei denn, man findet es es moralisch, daß der erst wenige Tage im Amt befindliche Supergeheimdienstchef Englands am Ende zu Tode gekommen wird, weil er die Totalüebrwachung der gesamten Menschheit als Lebensinhalt hatte und vorantrieb. Insofern ist das bißchen Gesellschaftskritik, das heute überhaupt noch in einen Film unterzubringen ist, schon eine starke Ansage. Verfechter der Totalüberwachung des Volkes gehören zu Tode gebracht. Wie, das ist nebensächlich.
Ja, das ist augenfällig, die Schurken werden von Bond niedergemetzelt, als hätte der Russe seine Unterstützung gegeben, doch die Schurken aus eigener Zucht, denen wird nur geholfen, sich aus dem Leben zu unfallen.
Das ist schon alles. Der Rest ist Mord und Totschlag, Spektakel und Werbung für Produkte, die sich kaum jemand leisten kann.
Der Film kann in allen Ländern und Kulturen der Welt gezeigt werden wie er ist, ohne das weitere Schnitte nötig sind. Die Zeiten aufregender Zensorenarbeit sind vorbei. Die Produktionsfirma der James-Bond-Reihe hat selber Hand angelegt und die Zensurschere gleich auf den Einband des Drehbuchs gelegt. So wußten alle Bescheid.
Und trotzdem hat es mich die knapp zweieinhalb Stunden im Sessel gehalten. An keiner Stelle entstand Langweile. Längen hatte der Film auch nicht. Den Mangel an schauspielerischer Arbeit und dramaturgischen Ideen haben sie anders wett gemacht. Es ist ein Schauspielerfilm, der nur durch Daniel Craig getragen wird. Alles andere ist Staffage, Beiwerk, um den Plot durch die Überlänge zu kriegen.
Christoph Waltz soll gut sein, in dem Film. Ist er nicht, im Vergleich zu Daniel Craig. Nur in einer Szene brilliert er wirklich, als er James Bond das Hirn anbohrt um ihn in die ewigen Jagdgründe zu schicken. Da war der in aller Welt bekannte deutsche Dr. Tod, das Elend der Hitlerei. Der Rest von Waltz' Auftritt war Programm nach Noten.
Logik ist bei James Bond eh nie gefragt, insofern kann man ruhigen Gewissens die Ecken und Kanten des Films mit Bocksprüngen bewältigen.
Der Einstieg war grandios, ein Verbeugung an den Altmeister der ungeschnittenen Eröffnung, Robert Altman. Gefühlte 5 Minuten dauert die erste, in einem Rutsch gedrehte Einstellung, so sie nicht kunstvoll beschissen haben.
Kurz darauf ist die Szene mit Monika Bellucci, die wirklich überflüssig war. Man hätte das weglassen können.
Der Rest ist Routine. James Bond befördert die Bösewichter in den Tod, erobert die Herzen der Damen im Sturm, kann alles, weiß alles oder läßt es sich recherchieren und gewinnt jeden Kampf.
Feige sind die Regisseure auch noch. James Bond hat die einmalige Chance, dem deutschen Elend den Garaus zu machen. Er muß in der ersten Schlußszene nur abdrücken, dann war es das. Stattdessen dreht er sich angewidert um und wirft die Pistole in hohem Bogen weg.
Ergo gibt es eine zweite Schlußszene, in der M mit demokratischer Inbrunst den Haftbefehl verkünden darf.
Gemäß der Antiterrorgesetze von 2001 verhafte ich sie im Namen ihrer Königlichen Majestät.
Es folgt ein dritter Schluß. Bond ist noch einmal bei Q auf Besuch. Anschließend sieht man einen wiederaufgebauten Aston Martin in den Londoner Nebel verschwinden.
Trotz der vollständigen Entkernung aller für einen Film nötigen Zutaten, trotz der Humorlosigkeit, der Unlogik, funktioniert der Film, ist er vielleicht der beste, den Daniel Craig abgeliefert hat.
Das Schlechteste an dem Film Spectre war der Bond-Song. Einen schlechteren hat es meines Wissens bisher nicht gegeben. Der Filmsound selber war in Ordnung.