Emily Linge: Don't Stop Me Now (Queen Cover)
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Visite ist auch nicht mehr das, was es noch nie war. Früher war Zucht und Ordnung, weil Hierarchie in dem Ärztehaufen. Jetzt ist nur noch Hierarchie, das Heraushängenlassen, wer der Chef ist.
Zu DDR-Zeiten war das streng geregelt. Mo Stationsarzt, Di Oberarzt, Mi Stationsarzt, Do Chefarzt und Fr wieder der von der Station. Wochenende je nach Bedarf. Niemand hat an diesem Ablauf gerüttelt.
Das Erscheinungsbild ist heutzutage das gleiche, aber völlig anders. Die Ärztin, die mich in der Notaufnahme als alten Bekannten begrüßte, da ich im Spatzenkrankenhaus als Kolibri vorstellig wurde, kam zwei Tage später erst gegen halb neun des Abends auf Visite, meinte, sie war schon mal da, aber da wäre ich nicht da gewesen, was stimmig sein könnte, da ich tagsüber des öfteren in Wald und Flur unterwegs war. Ich bat sie, doch gnädigst zu prüfen, wenn sie 10 Minuten Zeit hätte, ob sie meine Entlassungspapiere schreiben könne, dann käme ich anderntags in den Genuß des Heimgangs.
So einfach sei das nicht, da sie wieder in der 24-Stunden-Schicht sei und die Rettungsstelle zu betreuen habe. Ob da diese 10 Minuten anfallen, das ist ganz vom Aufkommen der Unglücksfälle abhängig.
Anderntags flog dann des morgens die Tür auf, ich wurde im Ton von Gefängnisaufseherinennen gefragt, ob ich der sei, der auch auf dem Namensschild verzeichnet ist.
Warum?, wollte ich wissen. Sie werden verlegt, in Zimmer 1, wegen der Sortenreinheit. Sortenreinheit heißt, so wurde mir später erklärt, daß nur stationsoriginäre Fälle in dem Zimmer untergebracht sind. Angnommen, es handelt sich um eine Zahnstation, dann liegen in einem sortenreinen Zimmer z.B. ein Backenzahn, ein Kiefernbruch, ein Nasenbeinbruch, weil es kein HNO gibt und eine Mundhölenvereiterung oder sowas.
Im Grunde hatten die Damen recht, denn in dem Zimmer, aus dem ich rausgeschoben wurde, lagen, sag ich mal, eine Brandverletzung, ein Auge und ein Bekloppter. Das neue Zimmer beherbegte, nur mal so angenommen, einen Hundebiss, aber nicht im Kiefer, einen Hals und einen Darm. Das ist also heutzutage stationäre Sortenreinheit.
Kurz darauf war Chefarztvisite. Der schaute mir tief in die Augen und meinte dann nur, gut dann machen wir das so, sie werden heute entlassen. Das passierte erst viereinhalb Stunden später, weil der Stationsarzt trödelte. Ich hätte ja gehen können, war aber zwingend auf das rezept angewiesen, das mir die ununterbrochen medikamentöse Therapie sicherstellen sollte. Den Arztbericht hätte das Krankenhaus auch so zum hausarzt schicken können.
Am lustigsten von all den Visiten sind aber immer noch die Stationsarztvorbeischauen. Der schaut und schaut und redet über Betäubungsmittel und Schmerzbehandlung, da erschallt aus der Tiefe des Raumes die Frage: Wenn er so gut darüber Bescheid wisse, ob er dann auch weiß, wo es hier was zu kiffen gibt.
Nur einer im Zimmer fand das nicht lustig.