Gespräch zwischen Gaby Weber und Patrik Baab.
Baab: Wenn manche Journalisten stehengeblieben sind auf dem Niveau kindlichen Spracherwerbs, dann wirkt tatsächlich jeder, der drei deutsche Hauptsätze fehlerfrei aussprechen kann, wie ein Putin-Versteher. Das sind denunziatorische Vokabeln, die jene woken Fönfrisuren in den Mund nehmen, die sich anders nicht zu helfen wissen, weil sie keine Ahnung haben. Die meisten meiner Kritiker haben drei Dinge gemeinsam: Sie kennen weder die Ukraine noch Russland aus eigener Anschauung; sie sind in die historischen Zusammenhänge, insbesondere in die Landes- und Konfliktgeschichte, nicht eingelesen; sie waren noch nie in einem Kriegs- oder Krisengebiet. Ihr Wissen haben sie von den Agenturen oder aus dem Internet. ... Heute aber sind die Redaktionen voller Journalisten-Darsteller, die der Propaganda der NATO folgen. Und wenn die Realität der Propaganda nicht entspricht – dann umso schlimmer für die Wirklichkeit.[update 11:35 Uhr]Baab: Was den Krieg in der Ukraine betrifft, so ist im Westen von “Putins Krieg” oder einem “unprovozierten Angriffskrieg” die Rede. Dies ist weder Putins Krieg noch ein unprovozierter Angriffskrieg. Es schmälert die Verantwortung des Kremls nicht, wenn man darauf hinweist, dass unter Juristen und Historikern längst keine Einigkeit besteht, wie der Krieg völkerrechtlich einzuordnen ist.
Baab: Hierzulande, aber auch in Schweden oder Frankreich, sind die selbsternannten Qualitätsmedien blind gegenüber der tatsächlichen Situation. Das beschreibe ich in meinem Buch: Sie verschätzen sich militärisch; sie verlieren die sozialen Verhältnisse aus dem Blick; sie können die Psychologie der Menschen nicht verstehen; sie haben keine Ahnung von Geopolitik; sie kümmern sich nicht um ökonomische Fragen; sie schreiben voneinander ab statt zu recherchieren; das Schlimmste ist aber ihre Apokalypse-Blindheit. Die Gefahr eines Atomkrieges war noch nie so groß wie heute. Die USA haben es geschafft, Deutschland in den Fokus russischer Atomraketen zu bringen und damit das Vernichtungsrisiko auszulagern. Das ist sowohl den Lohnschreibern zu verdanken, die zum zentralen Eskalationstreiber geworden sind, als auch den Hasardeuren in der Politik, die sich wie Schoßhündchen Washingtons gerieren. Das ist würdelos. Wenn diese Gestalten an die Front müssten, wäre der Krieg morgen vorbei.
Baab: Die Synkrisis (Verbindung) des deutschen Journalismus mit der Propaganda der NATO ist bestürzend, nicht nur im Blick auf die Primitivität der Tiefen-Indoktrination und ihren postfaktischen Charakter, sondern auch angesichts der bedingungslosen Unterwerfung unter ihren betont unduldsamen Ausschließlichkeitsanspruch. All dies zeigt den Vorgang der Selbstgleichschaltung, der von Zeitungsbesitzern zu Moderatoren, von Sitzredakteuren zu Korrespondenten, von Chefredakteuren zu Wald- und Wiesen-Reportern reicht. Sie missachten dabei die Regeln ihres Handwerks, verzichten auf die vollständige Beantwortung der 7-W-Fragen – Wer? Wo? Was? Wann? Wie? Warum? Woher kommt die Meldung? Sie lassen Wie und Warum unter den Tisch fallen, klären die Belastbarkeit der Quelle nicht mehr, sondern folgen der Propaganda z.B. ukrainischer Stellen oder des britischen Geheimdienstes, missachten die Regel “et audiatur altera pars” – auch die andere Seite soll gehört werden – und verzichten auf die Realitätsprobe vor Ort. Das Ergebnis ist, dass die Medien zum Opfer ihrer eigenen Propaganda werden und Fehleinschätzungen der Politik provozieren. Dies führt, so die US-amerikanische Historikerin Barbara Tuchman, zur gefährlichsten aller Fehleinschätzungen: Der Unterschätzung des Gegners. Genau dies ist im Ukraine-Krieg passiert.
Baab: Aus den genannten Gründen ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk dabei, journalistischen Selbstmord zu begehen. Wer soll diesen Typen noch was glauben, wenn sie sich aufführen wie der mittelalterliche Ausrufer, der auf dem Marktplatz dem gemeinen Volk die Beschlüsse der Fürsten verkündet hat?
Baab: Solange in diesen Systemen Leute nach oben gespült werden, deren Kernqualifikation darin besteht, anderen die Aktentasche hinterherzutragen, sehe ich schwarz.
Superlative Sprache: Vokabeln für den Wumms
Sie schreiben von "Schergen", von "Tyrannen", "Kriegstreibern" und "Krisengewinnlern", von "Diktatoren", "Rattenfängern" und "Unmenschen", also Menschen, die Dinge tun, die sie außerhalb der menschlichen Gemeinschaft stellen. Das erste Opfer im Krieg, heißt es immer, sei die Wahrheit. Tatsächlich aber ist das erste Opfer im Krieg immer der gesunde Menschenverstand, die Fähigkeit, beim Beschreiben des Grauen auf dem Boden der Menschlichkeit zu bleiben.
Wer der verbalen Mobilmachung zuhört oder sie mitliest, fühlt sich wie in einem Kinderbuch gefangen.