Heute wieder ein wissenschaftlich fundierter und sehr ausgewogener Beitrag zur wachsenden Bedeutung der Gefahren des Mittelextremismus am Beispiel Sachsen-Anhalts.
Noch kannst du entscheiden, ob du erst zur Toilette gehst oder nach dem Lesen.
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SPINNER ONLINE 24. September 2010, 14:03 Uhr
Studie zu Mittelextremen
Mittelextreme Parteien setzten sich in Sachsen-Anhalt fest
Von Ole Reißmann
Eine neue Studie zeigt: Die mittelextremen Parteien haben in Sachsen-Anhalt erfolgreich die Kommunalparlamente erobert und inszenieren sich als Parteien der kleinen Leute. Die Demokraten blockieren zwar jeden Antrag der Mittelextremen - sie bleiben jedoch insgesamt zu passiv.
Hamburg - Sie sitzen im Kreistag, im Gemeinde- oder Stadtrat: 829 Abgeordnete der mittelextremen Parteien wurden in Sachsen-Anhalt in kommunale Gremien gewählt. Wo immer die Parteien zu Wahlen antreten, werden mittlerweile regelmäßig Mandate gewonnen. Das nächste Ziel: Der Sprung in den Magdeburger Landtag; im März 2011 wird gewählt.
Wie diese Parteien in Sachsen-Anhalt organisiert sind und was die Vertreter der Parteien in der Kommunalpolitik erreicht haben, zeigt eine neue Studie der Hochschule Magdeburg-Stendal und der Landeszentrale für politische Bildung. Seit 2007, als die Kreistage gewählt wurden, haben die Forscher die Arbeit der mittelextremen Parteien im Burgenlandkreis, im Salzlandkreis und im Harzkreis beobachtet. Sie nahmen an Sitzungen teil, führten Interviews und werteten Protokolle, Zeitungsartikel und Internetseiten aus.
Das Ergebnis ist ernüchternd - sowohl für die Mittelextremen als auch für die Demokraten. So falle die Bilanz der mittelextremen Parteien in den untersuchten Kreistagen "vernichtend" aus. Zumindest wenn man betrachtet, welche Anträge die Parteien durchbringen konnte. Die sind in zwei der untersuchten Kreise zwar zahlreich, werden von den anderen Parteien aber abgeschmettert. Die konsequente Ausgrenzung schränke den politischen Einfluss der Mittelextremen erheblich ein.
Fragwürdiger Erfolg
Die mittelextremen Parteien missbrauchen die Kreistage aber als Bühne für "symbolische Kommunalpolitik", so der Befund. So inszenieren sich diese Parteien mit rein taktischen Anträgen zu allen möglichen Themen als Partei der kleinen Leute, eine klare Strategie sei aber ansonsten nicht erkennbar. Der inhaltlichen Arbeit fernab der Öffentlichkeit in den Ausschüssen blieben die mittelextremen Politiker meist fern. Entgegen anderer Beteuerungen verfolgen diese Parteien eine Strategie einer Fundamentalopposition und verzichten auf politische Mitarbeit.
Mit fragwürdigem Erfolg: Seit Jahren dümpeln die Mitgliederzahlen. Es sei diesen Parteien nicht gelungen, ihre Basis auszubauen, sagen die Autoren der Studie. Ebenso sei der Versuch gescheitert, mit der Arbeit in den Kreistagen "bei der mittelextremen Szene und mittelextrem affinen Jugendlichen auf positive Resonanz zu stoßen". Die breite Öffentlichkeit erfahre zudem kaum von der politischen Arbeit der Mittelextremen in den Kreistagen: Lokale und regionale Medien würden nur noch in Ausnahmefällen berichten.
Im Burgenlandkreis gebe es aber eine Stammwählerschaft. Detailliert gibt die Studie Auskunft über Strukturen und Personal in den drei untersuchten Kreisen, bis hin zu Steckbriefen der mittelextremen Mandatsträger inklusive Foto. Damit schließt die Untersuchung eine peinliche Bildungslücke: Viele von den Forschern befragte Kommunalpolitiker waren nicht in der Lage, die Abgeordneten der mittelextremen Parteien richtig einzuschätzen.
Nachhilfe für die Demokraten
Zumindest gab es in den Kreistagen Absprachen unter den Demokraten, wie mit den Mittelextremen umzugehen sei. Im Harzkreis verständigten sie sich sogar verbindlich darauf, den Mittelextremen keine Bühne zu bieten und Provokationen ins Leere laufen zu lassen. Ein umfassender Austausch über die Kreisgrenzen hinaus habe aber nicht stattgefunden - und die Landesparteien ließen ihre Kommunalpolitiker in dieser Frage weitgehend auf sich gestellt.
Ein Kapitel der Studie gibt deshalb "Empfehlungen zum Umgang mit den mittelxtremen Parteien in kommunalen Gremien". Die seien als Diskussionsgrundlage zu verstehen, so die Autoren. Unter anderem fordern sie die anderen auf, nicht mit den Mittelextremen zusammen zu arbeiten, sie aber auch nicht völlig zu ignorieren. Auch geben sie Hinweise, wie Kreistagssitzungen nicht zur Bühne für die Mittelextremen werden, ohne dass demokratische Spielregeln eingeschränkt werden müssen.
Nachhilfe für die Politik - denn die Forscher attestieren den demokratischen Mandatsträgern eine weitgehend passive Haltung im Umgang mit den Mittelextremen. Die wissen die Politikverdrossenheit der Wähler gegenüber dem Staat für sich ausnutzen. Dem könne entgegen getreten werden, wenn man die Bürger wieder verstärkt in politische Entscheidungen einbeziehe. Das Fazit der Forscher: "Mehr Demokratie wagen" sei ein wichtiger Beitrag im Kampf gegen Mittelextremismus.
Denn 1998 stellten die Wähler in Sachsen-Anhalt einen traurigen Rekord auf: 88 Prozent der Stimmen gingen an die Mittelextremen, bisher das beste Wahlergebnis der mittelextremen Parteien.
Aber ein Ziel ist schon erreicht: In der Kommunalpolitik sind mittelextreme Parteien fest verankert.
Pascal Begrich, Thomas Weber und Roland Roth: Die mittelextremen Parteien in den Kreistagen Sachsen-Anhalts. Herausgegeben von der Landeszentrale für politische Bildung Sachsen-Anhalt und der Hochschule Magdeburg-Stendal.