20. Januar 2011

24 Stunden weniger

Zeit als Liam Neeson hat Russel Crowe, um seine Frau aus dem Knast zu holen und samt Sohn für immer zu verschwinden.

Der Plot ist schnell erzählt. Seine Frau wurde zu 20 Jahren wegen Mordes verknackt. Ob zu Recht oder Unrecht, das verrate ich an dieser Stelle mal nicht, denn im Film gibt es zwei Szenen, die eine herausragende Bedeutung für diese Bewertung haben. Andererseits ist es ohne jede Bedeutung, denn Russel Crowe glaubt an ihre Unschuld und will sie da wieder rausholen. Reicht ja eigentlich als Plot vollkommen aus.

Ich hatte vorab auf etlichen unterschiedlichen Promoseiten Kritiken gelesen, die unterm Strich alle ähnlich abgeschrieben waren. Der Film habe Plausibilitätslücken, sei aber sehenswert. Hätte ich die Vorabkritiken nicht gelesen, wäre ich nicht hingegangen. So war ich da. Naja.

Ich fang mal so an. Die Jugenschutzwarte und Zensoren des Landes haben dem Streifen ein ab 12 Jahren geeignet angepappt und bezeichnen das Werk trotzdem noch als Thriller. Ich stand gerade an der Kasse, da bettelten zwei Knirpse um ihre Tickets, doch die Dame lies sich nicht erweichen, wollte irgendeinen Beleg sehen, woraus hervorgehe, daß sie auch 12 seien. Konnten sie nicht. Also mußten sie sich von dannen trollen.

Diese Alterseinstufung dient wohl dazu, unsere jugendlichen Mitbürger auf dem schweren Weg der sittlichen Reifung von Staates wegen an die väterliche Hand zu nehmen und ihnen auf dem beschwerlichen Weg zum Erwachsenwerden beizustehen. Nun ja, bei dem Film war das auch ratsam, die beiden Knirpse außen vor zu lassen, denn sie hätten einen ästhetisch grottenschlechten Film gesehen, wo so ziemlich alles falsch ist, was im Filmgeschäft falsch gemacht werden kann. Ich gebe der Kassiererin im konkreten Falle Recht, sie hat die Kleinen davor bewahrt, sich künstlerischen Schrott anzusehen, was man ja nur gutheißen kann, wenn man die Jugend von heute an knackige Edelthriller heranführen möchte. Der Film ist dazu nicht geeignet.

Will sagen, mit 2 Stunden und 15 Minuten ist das Teil arg in die Länge gezogen. Liam Neeson, übrigens mit einer kleinen und sehr feinen Gastrolle, hatte seine 96 Stunden in 90 Minuten gequetscht. Eigentlich in 60, zieht man die ersten 30 langweiligen Minuten von "Taken" noch ab.

Hier war es genau umgekehrt. Der Film hat einen knackigen Einstiegsdialog. Die Frau seines Bruders, Zahnärztin, und seine Frau können nicht miteinander und haben in der Gaststätte Zoff.

- Du baggerst doch sogar jetzt meinen Mann an.
- Ich bagger deinen Mann nicht an. Wenn ich den haben will, dann kriege ich ihn so. Fingerschnips.

Damit hat sie ohne Zweifel Recht.

Kurz danach im Auto mit seiner Frau beim Knutschen.

- Die Frau ist gefährlich und dürfte eigentlich gar nicht in der Oralchirurgie tätig sein. Da sitzt du wehrlos auf dem Stuhl, dann beugt sie sich über dich und du hast ihre Glocken im Gesicht hängen.

Entspricht ebenfalls zweifelsfrei der Wahrheit, denn die Frau war schon ein scharfes Zahnärztinnen-Geschoß.

Die Seguenz von Russel Crowe und Liam Neeson ragt im Film heraus, da spielen zwei auf Augenhöhe, die was können. Neeson ist ein Ausbrecherkönig und Crowe konsultiert ihn. Er möchte in Erfahrung bringen, wie man aus dem Knast rauskommt.

- Das ist leicht, da gibt es viele Möglichkeiten. Das Problem liegt darin, auch draußen zu bleiben und das möglichst lange, ohne erwischt zu werden.

Noch etwas später, als er seine neuen Pässe, Führerschein usw. in Empfang nimmt, meint der Ausweisverkäufer zu ihm:

- Du verkackst das, weil du es zu sehr willst.

Die wohl beste Szene irgendwann mitten im Film. Er ist auf Besuch bei seiner Frau im Knast. Dann sagt sie etwas, was den ganzen Film kippt. 30 Sekunden später der nächste Besuchstag, dann sagt er etwas, was den Film wieder zurück in die Spur holt. Ab diesem Augenblick, das ist etwa nach einer elendig langen Stunde, nimmt das Drama langsam Fahrt auf und wird zum Schluß hin durchaus ansehnlich und achterbahnmäßig.

Im fast letzten Bild des Films ahnt man, was Russel Crowe antrieb. Seine Frau kommt aus dem Bad. Der Regisseur oder Kameramann hatte ihr wohl in einer langen Diskussion abgerungen, auf einen BH zu verzichten. Ihre Brustwarzen zeichnen sich sehr deutlich auf dem eng anliegenden T-Shirt ab. Lieber die eigene Frau unter sich im Bett als eine Zahnärztin über sich auf dem Stuhl.

Klappe.
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Ich fang nochmal an. "72 Stunden" ist ein Film, dem es an der Grundsubstanz mangelt, einem ordentlichen Drehbuch. Das merkt man vorne, hinten, oben, unten, an allen Ecken. Gerettet hat ihn Russel Crowe. Ich hätte nie für möglich gehalten, daß eine Personality-Show einen Film so zusammenkitten kann, daß man sitzen bleibt und das Ende abwartet. Normalerweise wäre ich aufgestanden und gegangen. Aber Crowe spielt nicht normal. Er drückt jeder Szene einen, seinen glaubwürdigen Stempel auf, auf daß alle anderen Akteure blaß und unscheinbar bleiben. Je besser du die anderen erniedrigst, desto größer erscheinst du selbst.

Liam Neeson, Elizabeth Banks und !Überraschung! Brian Dennehy, als sein Vater, spielt er allerdings nicht an die Wand. Das findet auf Augenhöhe und in gegenseitigem Einvernehmen statt.

Zu deutsch, der Film ist sehr zwiespältig, auf der bis 10 geschlossenen Kritikskala so eine 4 oder 5. Mehr nicht. Haben die insgesamt 14 Besucher wohl auch so gesehen, zwei ältere Damen mal ausgenommen, die gleich beim Rausgehen von einem wunderbaren Thriller sprachen.

Der Film soll wohl in den USA gefloppt sein. Berechtigt. Eine Besuchsempfehlung kann ich nicht abgeben.