16. Juni 2011

Mauerkult in Ostberlin

Berlin feiert rein, die Fans feiern mit. Anläßlich des 50. Jahrestages der Errichtung des Antifaschistischen Schutzwalls (Mauer) wurden in Anwesenheit des Regierenden Bürgermeisters die ersten Denkmale in feierlicher Form und, wie es sich gehört, mit staatsmännischer Würde eingeweiht. Und da es sie noch gibt, die Fans der Mauer, das auch noch in einer erklecklichen Anzahl, ließen sich diese nicht lumpen und veranstalteten ihr eigenes Huldigungsfest. Ohne Bürgermeister.

Gerade mal eine Speerwurfweite vom Bruderkuß entfernt, im Schatten der Restmauer, hatteen sich jene eingefunden, die sich offen zu Mauer und Mauerkult bekennen und dies durch zahlreiche Aufschriften auf den zum Teil mehr als 20 Jahre alten T-Shirts dokumentiert.

Nun gut, vielleicht war es doch etwas mehr als eine Speerwurfweite. Obwohl, wenn Uwe Hohn als Maßstab gilt, dann war es eine. Den habe ich bei seinem grandiosen Wurf damals im Cantianstadion übrigens live erlebt. Das hat hat sich eingebrannt,obwohl ich noch ein klaaner Bub war. Es hat sich unter anderem deswegen eingebrannt, weil ich nur ein paar Meter von der Abwurflinie entfernt saß und wenige Minuten später auch noch der Weltrekord im Hochsprung der Frauen um eine Lattendicke verbessert wurde. Aber das waren andere Leichtathletikzeiten. Damals. Im Jahnsportpark an der Cantianstraße, im Schatten der Mauer.

Tja, was soll ich groß sagen. Roger Waters hat die Mauerfans nach Berlin geladen und alle kamen, erlebten ein Konzert von einem anderen Stern und gingen glücklich nach Hause.

Ich habe ein Konzert erlebt, für das selbst mir die Worte fehlen, das immer noch nachwirkt, das ich so schnell nicht vergessen würde und wo ich am liebsten meine Schwarzgeldkasse plündern würde, um heute Abend einem Schwarzhändler für Tickets eine Karte abzuluchsen, denn da es eine Unzahl von Mauerfans in Ostberlin, am Ostbahnhof, an der Mauergalerie gibt, hat Roger Waters ein zweites Konzert nachgeschoben.

Ich versuche trotzdem ein paar Worte zu finden, auch wenn es schwer fällt. Fangen wir mit dem wichtigsten an, dem Klang. Da es sich um die O2-Arena handelt, die bekanntermaßen für schlechte Beschallung berühmt ist, liegt der Verdacht nahe, es könnte am Klang etwas gehapert haben. Entwarnung auf ganzer Linie. Roger Waters, der Perfektionist war da. 15 dB weniger und alles ist im Lot. Den seine Techniker haben die Halle mit einem Klang gefüllt, den ich nie für möglich gehalten hätte. Ein absolut sauberer, gut ausgesteuerter und präziser Klang. Zumindest da, wo ich saß, unterm Hallendach, in der letzten Reihe, ziemlich mittig auf der anderen Seite der Bühne.

Schon der Anfang, vor dem Anfang war etwas besonderes. Der Hallensprecher meinte sinngemäß:

Liebe Fans, es geht gleich los. Es ist okay, wenn ihr Bilder macht oder filmt. Die Band hat aber eine Bitte. Ohne Blitz, das stört die Videoanimationen. Und bitte benutzt keine Laserpointer, das stört erst recht. Also bitte, schaltet jetzt den Blitz an euren Kameras aus. Und nun viel Spaß.

Die Setlist der Aufführung ist seit über 30 Jahren bekannt und wurde genau so dargeboten, einschließlich der Pause für den Wechsel der CD.

Mutig war das künstlerische Konzept. Im Verlaufe des ersten Konzertteils wurde die Mauer aus weißem Pyrostorsteinen errichtet, die gleichzeitig als Projektionsfläche für die gut gemachte Videoanimation diente. Die band verschwand zunehmend im Hintergrund und war über weite Strecken der Darbietung nur noch akustisch vernehmbar. Wenn sie es denn war. Wer weiß das schon so genau. Vielleicht haben sie sich auch hinter der Bühne einen gefeixt, derweil der Techniker dem Tonband beim Vorspulen zusah. Ein Wagnis also, das ich für sehr gelungen hielt, da ich mich so auf Sound und Video konzentrieren konnte, ohne vom Gehampel der Band abgelenkt zu werden. Die Präsenz der Band und Crew war minimalistisch, vollkommen den Effekten untergeordnet.

Im zweiten Teil des Konzerts kamen sie vor die Mauer um die wichtigsten Szenen aus dem Film "The Wall" besser darstellen zu können. Erst ganz am Schluß fiel das gute Mauerstück aus Erdölderivat in sich zusammen.

Höhepunkte? 29 Stück am Stück. Los ging es mit Feuerwerk, das ich als Hobbyvideotheker verpaßte. Den ersten grandiosen Applaus gab es natürlich bei dem am meisten mißverstanden, am meisten mißbrauchten Lied aller Zeiten, was mich gleich zu der Frage veranlaßt, was der Gesetzgeber eigentlich gegen Liedermißbrauch unternimmt. Fragezeichen.

Ich selber fand ja den Einstieg in "Mother" noch viel gelungener, als den weiteren Stein in der Mauer, zumal "Mother" mit einer honorablen Animation unterlegt war.

"Mother should I trust the government?"

Rechterhand auf der Mauer die Antwort in Englisch: "No fucking way!"
Linkerhand auf der Mauer die deutsche Übersetzung: "Auf keinen Fall!"

Frenetischer Szenenapplaus.

Für einen zensurgewohnten Bürger ein Schmankerl. Das rosa Schwein, das übrigens später durch den Saal flog, hatte "No fucking way" übrigens als Rückentatoo, damit es auch ja keiner übersieht.

Eine zweites, durchaus gelungenes Vorhaben bei diesem Titel. Aus einem Livekonzert 1980 lag ein close-up mit Roger Waters vor. Er kündigte an, diese Videosequenz einzuspielen und hoffentlich synchron mit dem 30 Jahre alten Clip zu sein. War er auch.

Schlag auf Schlag ging es dann nach der Pause weiter. Doch auch hier überragten einige Stücke die insgesamt überragende Präsentation der Songs. "Hey You", "Comfortably Numb", dazu später mehr, "Run like Hell" wurden in wahrhaft orgiastischen Stil dargeboten, dankbar angenommen und frenetisch honoriert.

"Bring the Boys back home" wurde rausgeschrien und hat von seiner Aktualität nichts verloren.

Das Ende dann unspektakulär und leise. Jedes Bandmitglied wurde wurde vorgestellt und schlich sich im Fußmarsch ala Genesis von der Bühne.

Der Abend war ganz großes Kino mit grandiosem Kinosound, wo man sich sagt, sowas möchte ich auch mal in meinem Wohnzimmer haben.

Was soll ich noch groß sagen? Am S-Bahnhof Warschauer Straße bettelten Abiturienten um eine Spende, damit sie die Abifeier doch noch finanziert bekommen, da sie wohl von einem Großveranstalter betrogen wurden, die S-Bahn hatte Pendelverkehr eingerichtet, mit dem sie selbst des Nachts nicht klar kam, so daß ich anderthalb Stunden nach Hause brauchte, heute früh mußte ich einer jenseits der 80 lebenden Dame aus dem Haus ausführlich referieren, wie das Konzert und warum es überhaupt war, wovon ich nach 10 Minuten entlastet wurde, weil sie merkte, daß ich ein noch recht schwurbeliges Gedankengefüge habe.

So, ein Schmankerl habe ich noch.

"The happiest days of our lives" und "Another brick in the wall part 2" made by Hobbyfilmer.