17. Januar 2012

mein Kampf am Zeitungskiosk

Es ist sosehr nicht mein Kampf am Zeitungskiosk, da der sich sehr über­schau­bar darauf beschränkt, 14tägig die ct', vierteljährlich die "ct' Digitale Foto­gra­fie" und gelegentlich Beförderungstickets zu erwerben. Von Kampf kann da keine Rede sein. Anders die Sicht des Kioskinhabers. Der könnte dicke Bücher unter dem Titel "Mein Kampf am Zeitungskiosk" anfertigen, denn schon lange ist er mit dem schnöden Überleben beschäftigt, ähnlich den Tank­stellen­päch­tern. Das arbeitende Prekariat der schöngeistigen Qualitätsmedien kann schon lange nicht mehr vom Verkauf gedruckter Tagesmeinung leben, denn die qualitativ hochwertigen Ergebnis journalistischen Tätigseins liegen wie Blei in den Regalen. Der Mord an Prinzessin Diana, die 100ste, die geht immer, alles abseitige davon kaum noch. So wurden Tabak, Bonbons, Schokolade, Alko­holiker-Wärmflaschen und diverse andere Nebenverdienstmöglichkeiten ins Sortiment aufgenommen, um den Laden überhaupt noch am Leben zu halten.

Nun geht ein Aufschrei durch das Land, besser gesagt, jene Medien, die das recht der freien Meinungsäußerung für sich beanspruchen. Ausnahmsweise ominöserweise wagt sich kein einziges Magazin hoher Qualität an den Spagat, die von der staatlichen Nachrichtenagentur verbreitet Meldung im Sinngehalt zu ändern, was sonst die Tagesordnung wäre.

Hitlers „Mein Kampf“ am Zeitungskiosk

titelt die Frankfurter Rundschau, um uns darauf hinzuweisen, daß es sich um ein Pamphlet (dpa) handelt, dessen Urheberrechte beim bayerischen Finanz­ministerium liegen. Man ahnt Böses, denn eine Zeile später schiebt die dpa zwecks Kenntlichmachung der bösen Absicht die Information hinterher, daß dies auf einen Engländer, Peter McGee, zurückgehe, der sein Bröt­chen­geld damit verdient, daß er kommentierte Nachdrucke von Hetzblättern aus der Nazi-Zeit auf den Markt bringt. Derfen die das, die Engländer? Hetzblätter auf den Markt bringen? Kommentiert?

Nein, das dürfen sie nicht, da Deutschland das Urheberrecht auf den Gebrauch beweglicher Lettern beansprucht, damit auch das Recht, was mit beweglichen Lettern angestellt werden darf.

Ich kann mich da entspannt zurücklehnen. Wenn ich mir ein Hetzblatt rein­ziehen möchte, dann gehe ich ins Archiv, zieh mir einen 25pfünder aus dem Regal, in dem die Originale des Völkischen Beobachters langzeitarchiviert sind und stöber im vergilbten Original. Ohne Kommentar. Und wenn mir das nicht zusagt, dann nehme ich halt den Stürmer oder die "Neue Rheinische Zeitung", den "Tagesspiegel" oder das "Neue Deutschland", alle in jenem Zustand wie sie einst auf dem Markt waren. Zeitbedingt physisch gealtert.

Bei Gelegenheit werde ich den Archivar mal fragen, ob ich das eine oder andere fotografisch ablichten kann. Als Beleg. Für den Zeitgeist. Damals. Und den Zeitgeist heute.

Halten wir als Konklusion zwei Dinge fest.

Erstens beansprucht der deutsche Staat das Urheberrecht auf Hetzschriften und entscheidet damit selbst, wer welche Hetze in welchem Umfang verbreiten darf und was Hetze ist und was nicht. Das ist nicht neu, sondern wird uns nur tagesaktuell bestätigt, authorisiert durch den staatlichen Nachrichtenversender dpa. Spätesten seit Luther seine eigene Version biblischer Geschichten auf dem Markt der Volksbespaßung feilbot, haben wir es mit ihr zu tun, der deutschen Angst vor dem gedruckten und geschriebenen Wort.

Zweitens, auch das ist eigentlich bekannt. In Deutschland herrscht ein Klima der Angst. Die Angst vor dem gedruckten Wort. Sei es das "Kommunistische Manifest", "Mein Kampf", der "Völkische Beobachter", die Zeitung "Neues Deutschland", das Flugblatt der linken Aktionsfront zu sowieso, das Manifest von Anders Breijvik oder ein schlichter Blogpost. Die deutsche Staatsmacht fürchtet sich vor 80, 100 oder 160 Jahre alten Büchern und Zeitungen.

Darüber sollte mal nachgedacht werden. Da ist was faul am Regierungshirn.