Telepolis oder der Journalismus für das betreute Lesen
Am Donnerstag, den 11. Januar, wurde ich darauf aufmerksam gemacht, dass auf dem Online-Magazin Telepolis, das ich 1996 mitbegründet und bis Ende 2020 als Chefredakteur geleitet habe, am Beginn von älteren Artikeln vor dem 1. Januar 2021 ein Disclaimer auftaucht. Man kennt das ja von Zigaretten, dass die tödlich sein können, oder von Medikamenten, dass man doch den Apotheker fragen solle.
Ein ehemaliger Chefredakteur schrieb mir als Reaktion auf den Disclaimer: „Das, lieber Florian, ist irre. Durchgeknallt. Was soll das? Versteckte Nach-Zensur? Mal auf Presse-Archive bürgerlicher Medien übertragen: Da kommt ein neuer Chef, und der setzt alle Artikel vor seiner Zeit auf den Index, sorgt zumindest dafür, dass alle Artikel vor seiner Zeit einen Warnhinweis bekommen. Was ist bloß los in diesem Land. Zunehmender Bekenntniszwang, überall Einengung des Diskurses, Vorsicht allenthalben.“
Der Heise-Disclaimer stellt wahrscheinlich ein Alleinstellungsmerkmal von Telepolis und Heise dar. Aber kaum ein Medium – gibt es überhaupt eines? – macht dann jedes Mal einen Strich, wenn eine neue Chefredakteurin, ein neuer Chefredakteur antritt, um sich von allem Vorhergehenden zu distanzieren. Wäre ja auch komisch, wenn man Namen, Branding, Autoren und viele Leser beibehält.
Obgleich ausdrücklich auch eine Distanzierung und damit auch eine Diskreditierung von Inhalten – und davon deren Autoren – im Disclaimer enthalten ist, will man sich mit „technischen Gründen“ herausreden. Dass ein solcher Disclaimer von vielen Medien verwendet wird, ist mir nicht bekannt, es gibt mitunter Hinweise, dass ein Artikel bereits so und so alt ist, aber keine pauschale inhaltliche Distanzierung.
... der mündige, auch skeptische Bürger scheint heute kein Leitbild mehr zu sein. Man muss ihn offenbar schützen und in die Hand nehmen, ihm sagen, was wahr und was falsch, was vertrauenswürdig und was verdächtig ist. Das dokumentiert der Heise/Telepolis-Disclaimer auf seine Weise.
2. März 2024
Telepolis: ein Nachruf von Florian Rötzer
Rötzer war über 20 Jahre lang der Chef von's Janze. Seit er weg ist, habe auch ich immer weniger Texte auf Telepolis gelesen. Da rockt nichts mehr, ja zuckt nicht mal mehr was. Da woket es esoterisch, daß sich die Festplattenstapel biegen.