19. März 2010

mitten in die Großfresse demokratischer Gesinnungseuphorie



Herr Tschiche, auf Filmaufnahmen aus der Wendezeit sieht man immer wieder Menschen, die euphorisch »Wahnsinn!« rufen.

Wahnsinn war höchstens, wie ungeheuer schnell es dann mit der DDR zu Ende ging.
Die Zeit der Bürgerbewegung war doch im Dezember 1989 schon vorbei... Die Bürgerbewegung stand vereinsamt da, wie die PDS auch.

Welche Hoffnungen hatten Sie in diese Volkskammerwahl gesetzt?

Ich gehöre nicht zu den Leuten, die in der Bundesrepublik da angekommen sind, wo sie ankommen wollten.

Können Sie die anhaltende Aufregung um SPD-LINKE-Konstellationen verstehen?

Das liegt daran, dass der Kalte Krieg immer noch nicht vorbei ist, dass er vor allem im Westen immer noch gepflegt wird. Aber von der LINKEN geht doch nicht die Gefahr aus, dass die Demokratie zerstört wird.

Gefährlicher als die DVU ist die NPD. Sind Sie für ein Verbot?

Nein. Wenn man sie verbietet, wuchert sie im Untergrund weiter.

Die Bewertung der DDR erregt immer noch die Gemüter. Hat sich Ihre Position in den letzten 20 Jahren verändert?

Man konnte in der DDR gut überwintern, wenn man sich in Nischen zurückzog oder sich anpasste. Und das hat die Mehrheit der Bevölkerung getan. Ich fand immer, die DDR war ein schlecht geführter Kindergarten, in dem die Pädagogen einem immer sagten, was man tun oder nicht tun soll... Es war ein autoritäres System.

Aber: Die DDR hat keinen Krieg angezettelt, es hat keinen Massenmord gegeben. Man kann sie also nicht mit dem Dritten Reich vergleichen oder als zweite deutsche Diktatur bezeichnen.

Schon in der letzten Volkskammer gab es die Debatte über Abgeordnete mit MfS-Vergangenheit... Das Thema beschäftigt die Öffentlichkeit immer noch.

Ich bin dagegen, eine Art Lebenslänglich zu verhängen: einmal Spitzel, immer Spitzel... Das geht nicht.

In der Wendezeit haben namentlich die Bürgerrechtler Demokratie erkämpft. Heute wollen viele Menschen von Wahlen und anderer demokratischer Beteiligung nichts wissen. Was sagen Sie denen?

Es hat da keinen Zweck, mit der Moralkeule herumzulaufen. Die Leute haben die Freiheit, nicht zu wählen... Die Demokratie ist weder der Vorhof zum Himmel noch der Himmel selbst.