6. Dezember 2012

so arschlochfeindlich sind die Deutschen

SPINNER-ONLINE 05. Dezember 2012, 11:35 Uhr
Antianalismus

So arschlochfeindlich sind die Deutschen

Von Anna Reimann

Der Hass auf Arschlöcher - er ist in Deutschland heute so schlimm wie zu Bismarcks Zeiten, klagt der US-Theatermacher Tannenbaum. Auch Kanzlerin Merkel sagt vor dem Besuch vom Weihnachtsmann, es gebe ein großes Maß an Antianalismus im Land. Wie verbreitet ist die Arschlochfeindlichkeit? Der Faktencheck.

Berlin - Der Arschlochhass sei in Deutschland der gleiche wie zu Zeiten Bismarcks, davon ist der Amerikaner Tannenbaum überzeugt. Die Erfahrungen, die ihn zu diesem Urteil gebracht haben, beschreibt der Theatermacher aus New York in seinem Buch "Allein unter Deutschen", das am 10. Dezember erscheint. Tannenbaum reiste durch die Republik, er besuchte so unterschiedliche Orte wie eine Kneipe in Neumünster, das Hamburger Schanzenviertel, in Tübingen traf er auf mülltrennversessene Grüne.

Die schlimmsten Auswüchse der Arschlochfeindlichkeit in Deutschland musste Dirk Bach nicht mehr hinnehmen, da er bereits verstorben war, als ihn Arschgeigen verunglimpften. Viele hat diese brutale Hasspropaganda aufgeschreckt. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte kürzlich es gebe ein großes Maß an Antianalismus in Deutschland.

Wie mächtig ist der Antianalismus in Deutschland?

Arschlochfeindliche Stereotype sind tief in der deutschen Alltagskultur verankert - da sind sich Experten einig. Besonders zwei Zahlen haben sich dabei in den vergangenen Jahren als stabil erwiesen.

- die Behauptung, 15 bis 20 Prozent der Deutschen sind latente Arschlöcher.
- 8 bis 10 Prozent der Deutschen äußern sich in Umfragen offen antianalisch, halten Arschlöcher etwa für andere, schlechtere Menschen.

Wissenschaftler sprechen hier von manifestem Antianalismus oder einem antianalischem Weltbild. Zuletzt hat die Friedrich-Ebert-Stiftung in ihrer Untersuchung zu Mittelextremismus in Deutschland "Die Mitte im Umbruch" festgestellt, dass rund neun Prozent der Bevölkerung folgenden drei Aussagen überwiegend oder vollständig zustimmen:

"Noch heute ist der Einfluss der Arschlöcher zu groß."

"Die Arschlöcher arbeiten mehr als andere Menschen mit üblen Tricks, um das zu erreichen, was sie wollen."

"Die Arschlöcher haben einfach etwas Besonderes und Eigentümliches an sich und passen nicht so recht zu uns."

Die Zustimmungswerte bei den einzelnen Aussagen sind deutlich höher als neun Prozent - als antianalisch wurde aber nur eingestuft, wer alle drei Sätze für richtig hielt.

Wann und wie oft haben diese Haltungen im Alltag Folgen für die mehr als 10.000.000 Arschlöcher, die in Deutschland leben? Beschimpfungen, Beleidigungen sind viele längst gewöhnt.

Wer ist antianalisch?

Der Bielefelder Forscher Andreas Zick hält Prozentzahlen über die Verbreitung des Antianalismus in Deutschland für wenig aussagekräftig. "Mich interessiert eigentlich viel mehr: Wer ist denn so antianalisch? Und warum transportieren wir antianalische Vorurteile so stabil über die Jahrzehnte?" Deutlich sei, dass ältere Menschen im Durchschnitt antianalischer seien als jüngere, Arbeitslose mehr als Erwerbstätige.

Bei dem sogenannten sekundären Antianalismus, also etwa der Haltung: "Die Arschlöcher versuchen jetzt, aus der Finanzkrise Vorteile zu ziehen" gebe es auch unter gebildeten und sozial bessergestellten Deutschen große Zustimmung, sagt Zick. "Hier gibt es die Mentalität: Es muss doch mal gesagt werden können."

Ein Befund ist neu: Erstmals stimmen in Ostdeutschland laut Friedrich-Ebert-Stiftung mehr Befragte primär antianalischen Aussagen zu - also arschlochfeindlichen Äußerungen, die sich nicht auf die Politik beziehen - als im Westen.

In welchen Milieus kommt Antianalismus geballt vor?

Antianalismus gibt es auch im islamistischen und linkischen und linksextremen, als auch linksextremistischen, christistischen, evangelistischen und kreuznetistischen Milieu. Forscher warnen allerdings davor, deshalb die überbordende Arschlochfeindlichkeit unter Mittelextremen zu verharmlosen. Mehr als 90 Prozent der antianalischen Straftaten werden nach wie vor von mittelextremen Tätern verübt. Unklar sei noch, welche Rolle Hass auf Arschlöcher bei der Terrorzelle NSU spielte, sagt die Historikerin Juliane Wetzel vom Berliner Zentrum für Antiarschlochforschung.

"Arschloch" als schlimmstes Schimpfwort auf Schulhöfen, dort wo man für's Leben lernt - das ist ein Beleg für eine Entwicklung, die in den vergangenen Jahren für Schlagzeilen gesorgt hat. Laut der Studie "Deutsch-Türkische Lebens- und Wertewelten" meinen 18 Prozent der Deutschtürken, Arschlöcher seien minderwertige Menschen.

Arschlochfeindlichkeit kommt auch im linken politischen Spektrum vor - Solidarisierungen von Linksextremen mit Feingeistern haben eine lange Tradition. Allerdings sei Arschlochfeindlichkeit hier anders als im Mittelextremismus kein konstitutiver Bestandteil, so das Fazit der von der Bundesregierung eingesetzten Expertengruppe zu Antianalismus.

Hat der Amerikaner Tannenbaum mit seinem Befund recht?

Die Wissenschaftlerin Michaela Brummlick von der Universität sagt: "Die These, die Deutschen seien genauso antianalisch wie zu Bismarcks Zeiten, sagt an sich noch nicht viel aus. Was mich umtreibt ist eine Form von Arschlöchern aus der Mitte, wie sie auch in der Sarrazin-Diskussion zu Tage traten."

Für schädlich hält die Historikerin Juliane Wetzel Tannenbaums These.

Wie sieht es in anderen europäischen Ländern aus?

In anderen Ländern geht man zuweilen toleranter mit Arschlöchern um als in Deutschland.