16. Juli 2016

NSU: an Mord erinnert man sich immer



Mord verjährt nicht - Mord vergißt man nie - Mord vergibt man nicht

Ich hatte ja mal dargelegt, daß meine Oma, Uroma und weitere Personen kurz nach Kriegsende von den Russen nordwestlich von Berlin ermordet wurden, was sich als höchstwahrscheienlich falsch darstellte. Das war die Geschichte, die mir als Kind erzählt wurde, bzw. wie sie später schriftlich niedergelegt war. Erst seit wenigen Jahren erscheint das alles in anderem Licht. Seit einigen Tagen ist es noch klarer.

Die Kurzfassung von vor Jahrzehnten ging so.

Wir wurden Anfang 45 auf Flüchlingstreck geschickt, von Warschau aus, und in den Wirren des Kriegsendes wurde der größte Teil der Familie dann von Russen ermordet bzw. wurde Opfer des Krieges.

Da ich vor einigen Jahren Auskunftsbegehr nebst Schilderungen des Sach­verhaltes ge- als auch abgetippt habe, um die Arbeit in den Behörden an­zu­leiern, kenne ich den Aufwand ziemlich gut, der da heute noch betrie­ben wird. Stasibehörde war involviert, da die mal bei meinen Eltern waren und diese zum Stillschweigen verdonnerten. Möglicherweise hatten die einen der Täter gefaßt, der ein Kriegsverbrecher war, und den mit dem Wissen erpreßt, damit er für sie arbeitet. Möglich auch das Naheligende. Das MfS war für Kriegsverbrechen und deren Verfolgung zuständig. Schweigegebot, damit die Ermittlungen nicht gefährdet werden. Ist ja auch heute so.

Weiter geht es mit den Kirchenregistern in Polen und Deutschland, wo Geburts- und Sterbebücher von Interesse waren. Dort wurde man zumin­dest ob des Todes fündig.

Eingebunden waren das deutsche Militärarchiv mit seinen Verbindungen ins russische Militärarchiv und die Abzweigungen zu den Strafverfolgungsbehörden, die immer noch Kriegsverbrecher suchen. Es ging um das Wehrmachts- und SS-Register usw.

All das ist völlig unerheblich. Mittlerweile stellte sich heraus, daß der Mord mit hoher Wahrscheinlichkeit vom Wehrwolf begangen wurde, also marodierenden SS- und Wehrmachtsangehörigen, die in russischen Uni­formen gen Westen zogen. Das ließ sich relativ gut rekonstruieren. Ob es stimmt, steht in den Sternbildern.

Die Genese der Geschichte war bisher so.

a) Jahrzehntelang wußte ich nur, daß die Verwandtschaft mütterlicher­seits in den Wirren des Kriegsendes bzw. Nachkriegs umgekommen ist.
b) Vor einigen Jahren wurde schriftlich hinterlassen, sie seien von den Russen erschossen worden.
c) Weitere Jahre später, nach umfangreichen Recherchen vor Ort und in Archiven, stellt sich heraus, daß dies eher der marodierende Wehrwolf war.

Darum geht es heute nicht. Es geht darum, daß es der Zufall dieser Tage wollte, daß sich eine Dame jenseits der 80 meldete, die sich noch sehr genau an diesen Tag erinnern konnte, und daß sie mit ihrem Vater dafür sorgte, daß eine Linde für die Opfer gepflanzt wird, damit der Mord nicht vergessen wird, den Opfern gedacht werden kann. Außerdem habe sie noch sie viel über diesen Tag zu erzählen, was bisher nie erzählt worden ist. Sie selber war keine direkte Zeugin, sondern kann sich nur an die Beerdigung, Baumpflanzung usw. erinnern. Und an das, was ihr Vater erzählte.

Wiederum bekommt die Geschichte ein Wendung. Es handelte sich um zwei Soldaten, Deutsche, die vorher die anderen Häuser abgeklappert und zielgerichtet nach der Familie gesucht hatten. Erst als sie diese gefunden hatten, begann ihre Mordorgie. Es handelte sich wohl um einen Auftrags­mord innerhalb der Familie, da sich einige unter den zahlreichen Flücht­lingen nicht grün waren. Eine der Damen hatte herumziehende Soldaten geordert, um ihre Probleme auf diese Weise zu lösen und als Siegerin aus dem Zickenkrieg hervorzugehen. Soweit ich weiß, war auch sie unter den Toten.

Bei der Gelegenheit sind Eier vom Bauernhof, Bauernhonig und Sauer­kirschen, die den Namen auch verdienen, abgefallen. Das nur nebenbei. Da geht man erhobenen Hauptes, also mit gerümpfter Nase, an jeden mobilen Gemüsestand vorbei. Können die nicht mit konkurrieren.

Ich nutzte die Gunst der Stunde und machte mich bei einer anderen 80jährigen über ein Phänomen sachkundig. Die war 45 mit Familie in Berlin und wurde dann in die Priegnitz ausquartiert, jenseits Bad Wilsnack, sprich Wittenberge.

Ich fragte sie, wie das ist, ob sie sich noch genau an jene Zeit erinnert. Immerhin war das in der Kindheit, und sie war um die 8 Jahre alt. Und was die sich erinnern konnte. Die Ereignisschilderungen sprudelten nur so aus ihr heraus. Flucht mit einem der letzten Eisenbahntransporte gen Nordwesten. In Neustadt (Dosse) mußten alle raus. Fliegeralarm. Der Haß der ortsansässigen Bauern auf die Flüchtlinge, die mangelnde Unter­stüt­zung. Kein Essen, nicht mal Milch. Flüchtlinge waren nicht will­kommen.

Schlußendlich meinte sie, das können alle, die ungefähr so alt sind, sich an diese Zeit ziemlich genau erinnern.

Krieg ist also ein dermaßen einschneidendes Erlebnis, daß selbst die Erinnerungen aus der Kindheit erhalten bleiben?

Das kannste aber wissen.

Weil, ich frage deshalb. Ich kann mich an nichts erinnern, oder nur sehr wenig, wo ich 8 oder 9 Jahre alt war. Ist weg. Der früheste Ansatz ist dann eher 15/16, Pubertät.

Na du hattest eben eine behütete, friedliche, umsorgte Kindheit. Da gibt es nichts zu erinnern. Da prägt nichts. Rabiate Ereignisse brennen sich für immer ins Gedächtnis.


So, nun kann man noch einmal darüber nachdenken, was es bedeutet, wenn sich kein Zeuge an keinem der Tatorte daran erinnern kann, Böhn­hardt, Mundlos und Zschäpe beim Mord gesichtet zu haben, und warum das sehr gut mit den nicht vorhanden Spuren der drei an den Tatorten in Übereinstimmung zu bringen ist.

Will heißen. Wenn sich niemand im Zusammenhang mit dem NSU an irgendetwas erinnern kann, dann sollte man ruhigen Gewissens davon ausgehen, daß da nichts ist, woran man sich erinnern kann. Da war nichts. Kein Mord, kein Banküberfall, kein Terror. Von linken Hirngespinsten und Ausnahmen mal abgesehen.