28. November 2014

wütender Mob: ein SEK dreht durch

Ich wollte schon wieder aufstehen und an der Kasse fragen, ob sie den Film auch für mich alleine spielen. Die bange Frage drückte mich dann doch in den Sessel und ließ Werbung als auch Trailer am Hirn vorbeirauschen. Dann wurde abgedustert und der Film begann. Ganz für mich alleine. Ein Traum wurde wahr, den ich so noch nie im Leben geträumt hatte. Ein ganzes Kino für mich allein und den Filmgenuß. Kein Popcorngestank von links, keine Schnapsfahne von hinten, keine Nuttendiesel von rechts, kein Handygeflacker, keine Rülpser, Lacher an falschen Stellen oder Machogebrunft im großen Kino.

Das Kino spielte den Film für mich allein und meine Sinne. Das muß man mal erlebt haben, so fantastisch ist das. Vorab noch der Schnelldurchlauf der Trailer, die verheißungsvoll auf 60 Sekunden runtergeschnitten waren, um die Menschen in Scharen ins Kino zu treiben. Zuerst wurde Keanu Reeves als einsamer Rächer "John Wick" in Szene gesetzt, der aber ausfällt, weil das zu technisierte aussah, was er da abziehen wird.

Danach durfte Brad Pitt den Krieg gegen die Faschisten gewinnen. Das sah ganz gut aus, was als Appetithäppchen in 60 Sekunden serviert wurde. Patriotische, vor Angst strotzende GIs und Brad Pitt als vier Panzersoldaten und ein Hund in einem, so viel Energie strahlte er aus. Er hätte den deutschen Faschisten auch alleine den Garaus gemacht. Der Film fällt aus, weil die abgelutschte schwarz-graue Bildästhetik des Maidan, aus Kairo, Syrien, dem Libanon, Gaza usw. als stundenlanger Bewegtfilm nervt. Auch wenn es ein Film von Siegern für Sieger sein wird, das Thema ehrenwert ist, findet er nicht statt.

Der dritte und letzte Film wird stattfinden, denn Liam Neeson hat wieder mal 96 Stunden Zeit, um ein Problem zu lösen, indem er seinen Rachegelüsten freien Lauf läßt. Tak3en, der 3. Teil der sinnfreien Rache-Action kommt auf die große Leinwand. Das werde ich mir anschauen, weil die Faschisten 1945 besiegt wurden.

Und um ehrlich zu sein, wer würde sich einen Film ansehen wollen, der im Jahr 1945 angesiedelt ist, dessen Drehbuch von Aust stammt und der sich „Heimatschutz“ nennt. Nö. Dann lieber bodenständig im Hier und Heute die Hau-Drauf-Rache des Liam Neeson.

Es kommt ja doch vor, daß aller zehn Jahre eine guter Polizeifilm aus deutscher Produktion die Leinwand entert. „Die Sieger“ von Dominik Graf war der Maßstab, der lange nicht erreicht wurde. Schon 15 Jahre ist es her, daß „Straight Shooter“ von Thomas Bohn mit kühler Handlung die Fans des deutschen Polizeifilms begeisterte, aueh wenn er eine anderes Thema behandelte.

Nun darf ein SEK straflos über die Leinwand marodieren. Ein wütender Mob von Elite-Polizisten zelebriert einen privaten Rachefeldzug.

Habt ihr schon gehört. Jetzt bringen sie den Neuen auf Polizeischule schon bei, daß sie die Schuhe ausziehen sollen, wenn sie die Wohnung von Muslimen stürmen.

Ein Megabrüller erschüttert den fetten Mercedes der SEKler.

Das Gute zuerst. Ich hatte mir ob der opulenten Platzauswahl jenen auserkoren, der ungefähr den besten Ton liefern sollte, ohne Genickstarre zwecks Blick auf die Leinwand zu provozieren. Das war dritte Reihe von hinten, Platz 9. Bis auf einen Blues, der etwas zu krachig rüberkam, habe ich den Sound gar nicht bemerkt. Das ist das beste Kompliment, das man den Klangtüftlern machen kann, denn wenn man den Sound nicht vordergründig bemerkt, haben die sich wirklich einen ausgedacht, der die Handlung der Bilder unterstütze. Auf die kam es nämlich an.

Der Plot selber, das wird erst ganz am Ende offenbar, beruht auf einer sehr dünnen Idee. Zwischendurch hat man immer mal die Ahnung, daß irgendwas an der Handlung nicht stimmt. Aber letztlich war es egal. Der Film ist nicht auseinandergefallen, das digitale Zelluloid hat bis zum Schluß durchgehalten, der einzige Zuschauer im Saal sowieso. Insofern war es ein guter Film. Zumal ja Spielfilm drauf stand und nicht Doku. Damit sind auch jene Freiheitsgrade erlaubt, die beim Froschkönig oder bei Rapunzel erlaubt waren.

Ein SEK soll eine Wohnung stürmen. Dabei wird einer schwer verletzt. Kurz darauf werden nächtens zwei Polizisten der Einheit hingerichtet. Die Dienstwaffe verschwindet. Nicht für den Zuschauer, denn der sieht ja, wer sie mitnimmt. Sie taucht später wieder auf. An einem andern Ort. Die damit in Zusammenhang stehende Person wird als Verdächtiger gehandelt und nun vom SEK gejagt. Die Polizisten sind allerdings als Freizeitkiller unterwegs, um ihren schwerverletzten Kumpel und die zwei Ermordeten zu rächen.

Wer bereits eine leichte Depression sein eigen nennt, der darf sich diesen Film nicht ansehen, denn Happyend gibt es nur in Hollywood. Ein guter deutscher Polizei-Thriller hat sowas nicht nötig.

Weil es ein Film aus kleinen Bausteinen ist, die man dann auf 107 Minuten Lauflänge gestreckt hat, mit einer Kunsthandlung drapiert, damit es nicht so auffällt, daß eigentlich nur Stoff für 40 Minuten da ist. Das ist sehr gut gelungen.

Der SEK-Chef hat sich und einigen Leuten seines Teams zwecks Aufbesserung des kargen Polizeigehalts und weil sie es können eine lukrative Nebenerwerbstätigkeit versorgt. Andere Teammitglieder sind da außen vor, kommen aber irgendwann auf den Grund der Dinge. Eine Dienstwaffe verschwindet und taucht irgendwann woanders wieder auf, weil sie jemand da hingelegt hat, damit sie genau dort gefunden wird. Ein verfetteter Polizeidirektor hat schlußendlich nur noch eine einzige Aufgabe.

Ich wurde vom Minister beauftragt, den Schaden zu begrenzen.

Niemand auf Regierungsebene, LKA oder Polizeirevier interessiert sich für die Aufdeckung von Straftaten in den eigenen Reihen. Das ist der fragile Kitt, der die Polizei zusammenhält, bis es eben von innen heraus rummst. Wackere Polizisten gibt es schon, auch im Film. Gegen den Standesdünkel und den Korpsgeist haben die keine Chance.

Was unterscheidet uns von denen da draußen, wenn wir damit durchkommen?

Weil wir es können.


Was fiel noch positiv auf? Es ist ein Spielfilm, kein Schnittmusterbogen. Der Regisseur hatte den Mut, den Schauspielern die Freiheit des Spiels zu lassen. Er hatte den Mut, die Kamera laufen zu lassen, statt zehn Schnitte je Sekunde unterzubringen. Er hat ziemlich genau die Emotionen und die eigen Welt der Polizeielite eingefangen. Oder auch nicht. Dann war das eben gut gespielt, weil es sich für einen Spielfilm so gehört.

Unterm Strich gibt es fast keine Längen, wenn man bedenkt, daß 60 Minuten reine Kunsthandlung sind, die mit der Rache der SEKler nichts zu tun haben.

In seiner Gesamtheit ein sehr empfehlenswerter Film für all jene, die depressive Filme lieben. Ein Muß für jene, die auf der Suche nach Erklärungen sind, warum die deutsche Polizei so funktioniert wie sie funktioniert. Hier bekommt man es beispielfilmhaft vorgeführt.

Es ist vielleicht nicht der ganz große Wurf, aber ziemlich nahe anbei. Well done.

"Wir waren Könige".