28. September 2019

Ohrenschmaus: Abbey Road - 50th Anniversary Edition


Cover des oppulenten Begleitbuches in der Größe einer Schallplattenhülle

Paul McCartney gab Martin die Anweisung „Grenzen zu verschieben“: “We don’t pay you to be safe, that’s not a Beatles thing.” (deutsch: „Wir bezahlen dich nicht dafür, um sicherzugehen, das ist nicht das Ding der Beatles.“)

Ich hatte ja so eine Ahnung und mir die Woche extra einen Wecker gekauft. Für die Bewältigung des All­tags brauche ich sowas nicht. Aber am gestrigen Frei­tag galt es, als erster durchs Portal des großen Musik­warenkaufhauses zu stürmen, sobald die Pfor­ten einen Spalt weit geöffnet sind, um das Objekt der Begierde zu ergattern. Für den östlichen Osten Ber­lins hatte die Verwalter des Erbes der Beatles gerade mal zwei Exemplare der Surround-Edition geliefert. Eine davon trug ich nach Hause. Erster!

Es ist eine Schande, daß es in Marzahn gerade mal zwei Beatles-Fans gibt, die mit der Klangware be­lie­fert werden können.

Irgendwann dämmerte ich davon, als der Klang so fett wurde, daß sich selbst die Gegenwart im Nichts auflöste. Kommen Come together und Something noch artig bieder aus den Boxen, so, wie man sie kennt, aber mit irgendwie noch drumrum Musik, ist Oh Darling die erste Offen­barung. Hier wurde geklotzt. Was man bei Maxwell's Silverhamer erwartet hatte, hammerharten Sound, das klingt erst in diesem Titel nach.


Doppelseite aus dem Mittelteil des oppulenten Begleitbuches

Richtig fett ist dann der instrumentale Abgesang zu I want you (She's so heavy). Nach A day in the live der zweite große orgiastische Instrumental­rausch der Rockmusik, zehn Jahre bevor ihn Pink Floyd mit Comfortably numb in die Lautsprecher wuchteten.

Sun King ist der nächste Höhepunkt des Albums. Ein nicht wummernder tiefergelegter (?) Baß von Paul McCartney, wie ihn wohl nur die moderne Tontechnik zu produzieren vermag. Auf den alten Bändern war er gottlob konserviert, doch erst jetzt hörbar, nachdem sich Könner des Faches der Digitalisierung angenommmen hatten.


The End. Das Ende der Beatles war für kleine Buam Anfang der 70er das Ende der Welt.

Die Prüfung des Puddings dann natürlich die Drumsticks in The End. Kurz knackig, präzise, was Ringo Starr ablieferte.



Die Überraschung dann am Schluß.
Her Majesty war ursprünglich zwischen Mean Mr. Mustard und Polythene Pam eingefügt. McCartney mochte den Titel dann doch nicht an dieser Stelle und das Lied wurde herausgenommen. Ein Toningenieur schnitt das Lied daraufhin aus dem Medley heraus. Da jedoch die Weisung bestand, niemals Aufnahmen der Beatles zu vernichten, fügte er an das Ende des Bandes ein leeres Band von 23 Sekunden Länge hinzu, an das er wiederum den Bandschnipsel mit Her Majesty hinzufügte. Der Gruppe gefiel dieses versteckte kleine Lied an dieser Stelle so gut, dass sie es dort beließ.
Paul McCartney tänzelt, seine Lobeshymne auf Her Majesty trällernd, einmal um einen herum, von rechts hinten nach vorne bis auf die Linke Seite der Schulter.

Giles Martin wieder mit einer soliden Arbeit. Die Meßlatte für Audio­restau­ration hat er damit schon eklig schweinehoch gelegt. Andere können eigentlich nur scheitern.

Und wenn man heute so im Schaukelstuhl sitzt und darüber nachdenkt, daß Anfang der 70er, nach Bekanntgabe der Trennung der Beatles, der Weltuntergang kurz bevor stand, da das Leben ohne Beatles nicht mehr sinnvoll zu Ende zu bringen war, der wird knapp 50 Jahre später eines besseren belehrt. Nie klangen sie besser als 50 Jahre tot. Da braucht uns um den Klimawandel nicht Bange sein. Schlimmer als die Trostlosigkeit des Lebens nach dem Ende der Beatles kann der gar nicht kommen.