24. Januar 2012

Wie viele Neonazis gibt es in Norwegen?

Nein, das ist keine der beliebten Rätselfragen. Auch gibt es keinen vergänglichen oder hochaktuellen Anlaß, diese Frage zu stellen. Nichts, was die NSU betrifft, nichts, was auf Anders Brejvik hindeutet. Die Antwort ist profan. Endlich habe ich die Tortur von Jo Nesbo überstanden und kann die 460 Seiten dem Vergessen anheim fallen lassen.

Zum Schluß hin wurde das Wortkonstrukt noch richtig schlimm. Ich hasse Schriftsteller, die ein Buch so anfertigen, daß Drehbuchautoren möglichst wenig zu tun haben. Insofern reduziere ich den gestern genannten Preis, so man die Schwarte löhnen will, auf 2 Euro. Mehr ist da nicht rauszuholen, zumal Nesbo zwei wesentliche Kernaussagen des Buches erst mal vollkommen außen vor läßt und nicht mehr behandelt. Der neonazistische Waffenbeschaffer, ein Mann der Kripo, wird nicht weiter behandelt. Das Techtelmechtel vom Geheimdienst-Kommissar mit der Tochter des Täters ebenfalls nicht.

Das macht dann doch den Unterschied zwischen "Der Schakal" und "Rotkehlchen". War sich am erstgenannten Produkt vergreift, braucht einen langen Füller. Den hat Nesbo nicht. Und Mankell reicht er, wenn überhaupt, bis zur Kniescheibe.

Nach Schluß ist der Plot simpel. Jemand hat ein Attentat auf den norwegischen König vor und besorgt sich eine Waffe. Erst ganz am Schluß habe ich begriffen, daß Nesbo die wesentlichen Ideen schlichtweg geklaut und grottenschlecht verhackstückt hat. Es geht in dem Buch auch nicht um Neonazis, sondern um richtige, jene aus dem zweiten Weltkrieg, um Norweger, die an der Seite der Wehrmacht oder in der SS ihre großen und kleinen Kriegsverbrechen tätigten. Das bißchen Neonazi in dem Roman ist Zeilenschinden, ohne literarische Funktion.

Trotz allem haut Nesbo beiläufig, also unbeabsichtigt, einen fulminanten Satz heraus, der bestens charakterisiert, wie wehrhafte Demokratien funktionieren. Harry Hole, zeitweilig in geheimpolizeilichen Diensten der norwegischen Monarchie, grübelt über die weiteren Ermittlungsschritte nach.

Er hatte gerade erst die Kopie einer Soziologie-Diplomarbeit bekommen, in der der Autor zu dem Schluß gekommen war, dass es siebenundfünfzig Neonazis in Norwegen gab.

ebenda, S. 363