30. November 2009

nach Diktat verreist

Der Autor des Schriftsatzes zur Stasi-Thematik, Thomas Falkner, hat sich nach Versendung seines 4-Seiters in den Urlaub verabschiedet.

Gute Erholung auch.
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A.:Kannst du mal eine kurze Zusammenfassung unserer Meinung zur Stasi aufschreiben? Aber bitteschön von zu Hause aus.

B.: Bis wann?

A.: So schnell wie es geht, sonst brennt uns was weg. Und halte die Fraktion da raus. Schick es breit gestreut und privat.

B.: Geht klar.

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Mord verjährt nie.

Und Stasi!

Oder: Hurra! Wir sind angekommen!

Die aktuellen Vorgänge um den Abgeordneten im Brandenburger Landtag, Gerd-Rüdiger Hoffmann, und weitere Abgeordnete haben einmal mehr die Debatte über den Umgang mit der Thematik Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit provoziert. Wie zu erwarten könnte man meinen.

Der folgende Text von Thomas Falkner hat einige Annotationen verdient, schon deswegen, weil ich selten solch unausgegorene Suppe an katholischem Konservatismus, moralischen Instinktansprachen und politischem Besserwissertum zu Gesicht bekomme habe.

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T. Falkner, 27. November 2009

Zur Stasi Debatte in und um Brandenburg

Es handelt sich wohl eher um eine Debatte innerhalb eines klar abgegrenzten Personenkreises und einiger Medien. In und um Brandenburg ist das kein Thema.


1.

Es gibt so viele Motive, die LINKE zu hassen.

So viele gibt es nun auch wieder nicht.

Sie liegen – auch heute, 20 Jahre nach dem Beginn der demokratischen Revolution in der DDR –

Was soll denn das sein? Demokratische Revolution in der DDR? Das wäre dann mal wissenschaftlich zu fundieren.

vor allem in der totalitären Vergangenheit ihrer Vor-Vorgänger-Partei SED begründet. Und wo sie im Heutigen ihren Anlass haben – in nostalgischer Verklärung im Osten,

Das ist plumpes Ossi-Bashing und hat in einem politischen Text überhaupt nichts verloren. Nostalgie ist a priori wertfrei, im Falknerschen Kontext jedoch beleidigend.

in linksradikalen Phrasen im Westen,

Welche? Von welchen Linksradikalen in welchem Zusammenhang geäußert? Grenzt sich Die Linke nicht von Linksradikalen ab? Dann hat das hier nichts verloren.

in agitatorischer Überhöhung sozialer Missstände etwa -,

Das ist eindeutig gegen Oskar Lafontaine gerichtet, hat in dem Text auch nichts verloren.

da erwächst die eigentliche Dramatik auch aus den negativen Referenzen der Vergangenheit. Das Schlüssel-Symbol ist die Stasi: Instrument totalitären Machtanspruches einerseits, Ausdruck zwischenmenschlicher Abgründe andererseits.

Ein Geheimdienst, auch nicht das Ministerium für Staatssicherheit, ist nicht per se ein Instrument totalitären Machtanspruchs, auch nicht Ausdruck zwischenmenschlicher Abgründe. Ein Geheimdienst ist nichts weiter als ein Machtinstrument der herrschenden Klasse oder Kaste zur Aufrechterhaltung und Fortentwicklung der politischen Macht und Machtverhältnisse. Im Falknerschen Kontext ist es moralingetränktes Geseiere.

Peter-Michael Diestel hat dem Hass auf die LINKE nun eine neue Komponente hinzugefügt: Er verübelt ihr, dass Menschen, die mit ihrer Stasi-Vergangenheit offen und selbstkritisch gebrochen und sich auch dadurch neues Vertrauen erworben haben, nicht akzeptieren wollen, dass sich andere mit ähnlicher Biografie ohne diese für demokratische Politik unausweichliche Auseinandersetzung politisches Vertrauen erschlichen haben. Die Stasi jagt die Stasi, zürnt er und droht an, die LINKE vor sich her zu treiben, bis sie bundesweit blamiert ist.

PMD hat der Debatte überhaupt keine neue Komponente hinzugefügt. Hier irrt der Autor gewaltig. PMD hat genau das aus aktuellem Anlaß bekräftig, was er schon immer gemacht hat: Er hat die Linke Führung im Brandenburger Landtag und alle interessierten Leser seiner Ausführungen auf die in der Bundesrepublik bestehende Rechtslage verwiesen, an die man sich bitte schön halten möge.

Und ob irgendwer irgendwann mit seiner Stasi-Vergangenheit offen und selbstkritisch gebrochen hat, ist ebenfalls irrelevant, da es genau dazu keine Rechtslage gibt.


2.

Es gibt viele gute Gründe, der LINKEN ihren Platz in der Demokratie zuzuweisen

Man könnte böswillig sein. Es gibt viele gute Gründe, die LINKE in die Schranken zu weisen...

und sie in Verantwortung einzubinden. Matthias Platzeck hat dafür vor einigen Wochen im SPIEGEL geworben – und eine kontroverse Debatte ausgelöst. Mit sicherem Instinkt hat er auf das politisch-moralische Kernproblem – die Stasi – hin argumentiert und damit zunächst viele Irritationen ausgelöst. Warum über die Stasi reden, wenn man die Integration Ostdeutschlands meint? Ganz einfach: Weil es eben immer noch die negativen Referenzen der Vergangenheit sind, die auferstehen, wenn wie jetzt in Brandenburg die inhaltlichen Gemeinsamkeiten von heute zu gemeinsamem politischem Handeln führen.

Die viel beschworenen inhaltlichen Gemeinsamkeiten entpuppen sich bei genauerer Betrachtung als gar nicht so viele. Der Umstand ist ein anderer. Die Mehrheit der Wähler wollte Rot-Rosa, die jeweiligen politischen Führungen wollten es und Platzeck wollte Schwarz loswerden, da ihm diese eine viel zu knappe Parlamentsmehrheit erbracht hätte, die bei vielen Unwägbarkeiten der nächsten Jahre möglicherweise mit einem großen Krach zerbrochen wäre. So viel politischen Instinkt hat er dann schon, zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Weichen zu stellen.

Es geht, wie Platzeck sagt, „um die Macht der Vergangenheit über Gegenwart und Zukunft“. Oder eben anders formuliert: „Welche Entwicklung hätte Deutschlands Westen wohl genommen, wären die Gegner und Feinde von einst nach 1945 derartig unversöhnlich miteinander verfahren, wie wir ehemaligen Kontrahenten des Kalten Krieges und der DDR es bis heute vielfach tun?“


3.

Platzeck und Diestel – zwei brandenburgische Persönlichkeiten, zwei brandenburgische Wege. Beide haben nichts mehr mit dem „Brandenburger Weg“ der frühen 90er Jahre, mit dem Brandenburg Manfred Stolpes zu tun.

Weder für PMD noch für die Landesbewohner war dieser „Brandenburger Weg“ verpflichtend. Das wird aber suggeriert, ist jedoch eine böswillige Unterstellung.

Toleranz hieß damals auch Wegschauen, oder besser: großzügig über manches hinweg sehen. Niemand werfe den ersten Stein. Verstrickungen in die Diktatur allerdings wurden dann – und das war durchaus ein Stück Integrationsleistung – „mit menschlichem Maß“ bewertet; es gab sogar einen Landtagsbeschluss gleichen Namens.

Was soll dieses schnoddrige Geschwafel von Diktatur? Wenn die DDR gemeint ist und eine solche gewesen sein soll, dann hätte ich sowas gerne im historischen Kontext erläutert. Ansonsten ist es recht und billig, auch der Bundesrepublik ein solches Attest auszustellen. Auch die BRD ist nichts weiter als ein Diktatur. Ja und? Hab ich damit was gewonnen? Hilft mir das weiter? Ich denke kaum, denn es ist billige Agitprop.

Im Brandenburg von Matthias Platzeck wird mit politischem Maß bewertet: Nicht allein das Leben vor 1989, sondern auch die seither erbrachte Lebensleistung sollte die Bewertung einer Persönlichkeit bestimmen. Nicht allein mildernde Umstände aus der Zeit der Diktatur sollten zur Anwendung kommen, sondern der Mensch sich durch bewusste, offene eigene Veränderung selbst einen Platz in der Freiheit schaffen können. Das war genau jener Fortschritt, der im zweiten Jahrzehnt nach der demokratischen Revolution im Osten möglich und notwendig geworden war. Im Wahlkampf konnte zu Platzecks Herausforderin eine Frau wie Kerstin Kaiser werden – eine Frau, die nicht nur ihre IM-Phase offengelegt und kritisch beleuchtet hatte, sondern seit fast zwanzig Jahren mit ihren praktischen Politik belegen kann, warum und wie konsqeuent sie vom Stasi-Spitzel zur überzeugten Demokratin und Verfechterin von politischen und sozialen Bürgerrechten geworden ist.

Mir kräuseln sich die Magenwände ob dieser schleimigen Formulierungen. Daß Frau Kaiser Stasi-Spitzel war, das sollte Herr Falkner nachweisen können, ansonsten könnte man es als üble Verleumdung auffassen. Und „Verfechterin von politischen und sozialen Bürgerrechten“ ist agitatorisches Beurteilungsgesülze ohne Substanz. Das ist es, was man wohl auf allen vieren in den Arsch kriechen nennt, seine Unentbehrlichkeit demonstrieren.

Frau Kaiser ist Frau genug, sich selber verteidigen und beurteilen zu können. Der letzte, den sie dazu braucht, ist Thomas Falkner.

Peter-Michael Diestel hat eine andere Botschaft: Einmal Stasi, immer Stasi.

Eine solche Botschaft konnte ich dem Spiegel-Interview nicht entnehmen. Das wäre dann nachzuweisen. Aber vielleicht meint Falkner ja einfach nur: Einmal schwatzhaft immer schwatzhaft. Das wiederum hat PMD durchaus zum Ausdruck gebracht und angemahnt, man möge sich mit den Flurfunksendungen etwas zurückhalten.

Es gibt keinen Weg heraus. Einmal in die Kumpanei hineingezogen, hat man sich ihr zu unterwerfen bis ans Ende seiner Tage. Damit erweist Diestel sogar seinem Mandanten einen bösen Dienst – der hatte zwar nicht die Kraft zur Wahrheit über die dunklen Punkte seines Lebens gefunden,

Das ist eine sehr bösartige Unterstellung. Woher will Falkner denn eigentlich wissen, daß Gerd-Rüdiger Hoffmann „nicht die Kraft zur Wahrheit über die dunklen Punkte seines Lebens gefunden“ hat? Hat er mit ihm darüber geredet? Vielleicht hat er sie ja doch gefunden, nur nicht an Falkner kommuniziert? Das wäre allzu verständlich, denn auch ich würde mit solch vorhandener Kraft oder auch fehlender nicht ins Büro von Falkner latschen und mich bei ihm lang und breit auslassen.

im Schatten dieser Lebenslüge

Das muß keine Lebenslüge sein. Es ist eine in den Augen von Falkner. In den Augen anderer noch lange nicht, zumal ja bis heute überhaupt nicht bekannt ist, worum es überhaupt geht, da die Dokumente noch nicht gesichtet sind. Hier haben wir es mit klassischer Vorverurteilung zu tun. Sicherheitshalber erst mal eine in die Fresse hauen und dann schauen, wie man weiter macht. Ekelhaft.

aber zwanzig Jahre lang viel Achtung für demokratisch-sozialistische Kulturpolitik erworben. Diestel ist dennoch nur der Anwalt, sonst könnte man glauben, er fühle sich selbst verraten.


4.

Warum entwickelt sich das in Vergangenheitsfragen scheinbar so ruhige Brandenburg heute zum Schauplatz kultureller Bürgerkriege?

Das ach so ruhige Brandenburg bewahrt auch weiter ruhig Blut. Der flugs herbei geschriebene Bürgerkrieg findet nur in der falknerschen Phantasie statt. Oder in der begrenzten Zahl von ca. 10 Personen. Formidabler Blödsinn.

Liegt das an Rot-Rot? Nein, nicht nur. Ein Nachholebedarf in Sachen Vergangenheitsaufarbeitung ist seit langem spürbar – lange vor der rot-roten Weichenstellung. Der Brandenburger Weg der 90er Jahre hat nicht nur menschliches Maß bei der Bewertung von Lebensbilanzen gebracht, sondern aus strukturelles und institutionelles Defizit mit Blick auf die Opfer. Weil es eben fast zwanzig Jahre lang keinen Stasi-Beauftragten des Landes, keinen Ansprechpartner des Landes für die Opfer gab, brach sich das Bedürfnis danach 2008/2009 so mächtig Bahn, dass es nun doch einen solchen Beauftragten geben wird. Das ist keine Reaktion auf Rot-Rot.

Manches aber liegt doch an Rot-Rot. Es war kein Problem, dass die LINKE im Land eine ehemalige Inoffizielle Mitarbeiterin der Stasi zur Spitzenkandidatin erhob und dass absehbar ein Viertel bis ein Drittel der märkischen Wählerinnen und Wähler ihr das Vertrauen geben würde. Ein Problem wurde es, als sich abzeichnete: diese Frau könnte nicht nur einen großen Teil der Wähler repräsentieren, sondern als Ministerin Verantwortung für das ganze Land übernehmen, alle Brandenburgerinnen und Brandenburger regieren.

Genau das ist kein Problem, weil es für die Brandenburger Wählerinnen und Wähler kein Problem war. Ein Problem wurde es nur für einige Spieler am Pokertisch der Macht, die Frau Kaiser nicht am Ministertisch sitzen sehen wollten. Den Wählern in ihrer Mehrheit, also jener Minderheit, die überhaupt noch Linke wählen ging, war das scheißegal. Gigantische Fehleinschätzung und -bewertung des Sachverhaltes.

Frau Kaiser nahm sich an dieser Stelle zurück und stellte klar: Ich beanspruche kein Ministeramt. So weit, so gut. Eine Frage blieb: Werden sich nicht doch welche durchmogeln? Hinter dem Rücken von Frau Kaiser? Gerd-Rüdiger Hoffmann hat gezeigt, dass dieser Argwohn berechtigt war.

Argwohn gab es in einem kleinen Zirkel der Gutmenschen und Besserwisser, weil sie ihre Pfründe bedroht sahen. Den Wählern von Hoffmann war auch das egal. Sie haben in gewählt ob seiner Leistungen im Hier und und Heute.


5.

Ist der Argwohn irrational?

Ja und Nein. Irrational ja, weil aus der Totalitarismusdoktrin gespeist. Verständlich allerdings auch, weil jedes Bekanntwerden einer Mitarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit die Ruhe der Angekommenen, der Demokraten, der Verfechter von politischen und sozialen Bürgerrechten stört, weil es sie aus ihrem beschaulichen Büroschlaf weckt, weil es möglicherweise Wählerstimmen und damit Jobs kosten könnte. Und genau da ist der eigentliche Hintergrund. Es könnte ja den eigenen Job kosten, wenn man sich nicht für das Thema Stasi interessiert oder aber gegen hält.

Soll man nicht Ruhe geben – 20 Jahre nach der Wende?

Ganz klares Ja.

Die Stasi war in der DDR und auch in der sie tragenden Partei, der SED, und sogar in deren Apparat weithin verhasst.

War sie nicht. Das wäre zu belegen. Ansonsten handelt es sich hierbei um eine Formulierung an den massenmedial konformen Zeitgeist. Vielleicht weiß es Falkner ja nicht besser, aber der Apparat der SED war für die Stasi tabu.

Sie war zu Recht bei vielen gefürchtet. Stasi-Zuträger wurden gemieden bzw. verachtet.

Das hat hier nichts zu suchen, sondern gehört in ein Bastei-Lübbe-Groschenheft. Wenn ich Kriminalromane lesen möchte, dann kaufe ich mir welche.

Eine eher schillernde Rolle spielte in der öffentlichen Wahrnehmung die HVA – auch deswegen, weil man sich als DDR-Bürger von ihr am wenigsten behelligt fühlte. (Dabei spielte zum Ende der DDR auch die ambivalente Rolle von Markus Wolf eine Rolle.)

Auch diese künstliche Trennung ist letztlich nur dem Zeitgeist geschuldet. Das Ministerium für Staatssicherheit war für die Aufrechterhaltung der inneren und äußeren Sicherheit der DDR verantwortlich. Was soll's?

Aber wie auch immer: So groß der offizielle und inoffizielle Apparat des MfS auch gewesen sein mag – gesellschaftlich bildete er eine Minderheit. Und diese Minderheit stand der Mehrheit konträr gegenüber. Sie hatte sich anonym und institutionell über diese Mehrheit gesetzt, ohne in der Regel individuell erkennbar zu sein. Sie hatte sich gegen die Mehrheit gestellt – und sich, vor allem auf der IM-Ebene, zugleich in deren Vertrauen geschlichen. Der gezielte Vertrauensbruch zu politischen Zwecken – das ist das politisch-moralische Kernproblem. Und das bleibt.

Schauen wir auf die andere Seite: Wer sich irgendwie auf die Stasi einließ, tat dies in einem bestimmten zeitgeschichtlichen Umfeld. Man tat es aus ideologischer Überzeugung, aus taktischem Kalkül, aus Furcht, aus Eigennutz, aus Hybris ... und in der Gewissheit, nicht entdeckt zu werden.

All diese Beweggründe wurden 1989 hinfällig. Wer IM war, war ohne Schutzvorhang auf das politisch-moralische Kernproblem seiner Tätigkeit zurück geworfen – den gezielten Vertrauensbruch und -missbrauch. Politisch konnte das nur delegitimierend wirken – gerade in einer offenen, demokratischen Gesellschaft.

Es konnte nur deshalb delegitimierend wirken, weil es auf die politische Agenda gesetzt wurde. Selbst in den führenden Kreisen der BRD wurde ernsthaft darüber diskutiert, die Akten des Ministeriums für Staatssicherheit zu vernichten oder unter Verschluß zu halten (Schäuble).

Schließlich hat sich eine andere Machtfraktion durchgesetzt, die die die Delegitimierung der DDR zum politischen Schlachtruf (Kinkel) erhob und genau so verfuhr. Und das erleben wir bis heute. Genau zu jenen Sachverhalten, wo 1. die Akten noch vorhanden sind und 2. die Aktenlage ins politische Kalkül paßt.

Es ist schon sehr merkwürdig, daß Stasivergangenheit nur und ausschließlich dann eine Rolle spielt, wenn es um die Linke an der Macht geht, also in Kommunal- und Landesparlamenten, als auch im Bundestag. Daß ein gleichermaßen berechtigter oder unberechtigter Aufschrei durch die Medien hallt, wenn es um IMs in der CDU, SPD, FDP, den Grünen usw. geht, davon habe ich in den letzten 20 Jahren nichts vernommen.

Darüber sollte man mal nachdenken, warum alle IMs nur bei den Linken verortet werden.

Politik und Gesellschaft haben dem strukturell entsprochen – durch Überprüfungen und Barrieren im öffentlichen Dienst, für exponierte Tätigkeit mit öffentlicher Wirkung.

Genau das ist der Bundesrepublik anzukreiden, daß sie eine Lex Stasi geschaffen hat, die jeder Jurastudent, die Jurastudentin selbstverfreilich auch, nach dem ersten Semester in Grund und Boden stampfen kann, weil sie elementare Regeln der bürgerlichen Jurisprudenz eklatant verletzt.


6.

Warum ballen sich Stasi-Affären einerseits, warum gibt es mustergültige Auseinandersetzung mit persönlicher Verstrickung andererseits gerade in der LINKEN?

Das ist mir persönlich vollkommen egal, weil es mich überhaupt nicht interessiert.

Der einzige Raum, in dem man nach 1989/90 noch auf Verständnis für Beweggründe wie ideologische Überzeugung, taktisches Kalkül, Furcht, Eigennutz oder Hybris rechnen konnte, war zunächst die PDS.

Die PDS war kein Raum, sondern eine politische Partei. Nur weil das Wort Raum während des zurückliegenden halben Jahres durch die schwachsinnige Formulierung „das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein“ zu den am häufigsten benutzten deutsche Wörtern gehörte, heißt das noch nicht, daß man es auch nutzen muß.

Außerhalb dieses Raumes galt dies nicht.

Tja, wie gesagt. Schwachsinnige Formulierung. Davon abgesehen gab es außerhalb des falknerschen (T)raumes keine Stasi-IMs.

Und aus der Gewissheit, nicht entdeckt zu werden, wurde dort die bange Hoffnung, nicht aufzufliegen oder sich vor der Überprüfung drücken zu können.

Das ist an den Haaren herbei gezogen. Zuallererst bedeutet Schnabel halten und nicht entdeckt werden die Sicherung der sozialen Existenz. Und das ist von einem derart wichtigen Stellenwert in der Bundesrepublik Deutschland, daß es 10 Kategorien höher anzusetzen ist als die von Falkner gedichteten Motivationen.

Die PDS selbst konnte diesen Entwicklungen nicht ausweichen. Es konnte kein Vertrauen in ihre Erneuerung geben ohne die nachvollziehbare, nachhaltige Abkehr vom Vertrauensmissbrauch. Die PDS erhielt zwar in sich weiter Nischen des Verständnisses oder auch stillschweigender bis offener Billigung einer Kooperation mit der Stasi. Zugleich verlangte sie jedoch die – und zwar: selbstkritische – Offenlegung früherer Kooperation mit der Stasi. Das war organisationsintern rational und politisch unausweichlich – half den Betroffenen individuell gegenüber der Außenwelt nicht. Dort war ein Bekenntnis zu einer Stasi-Verstrickung immer noch existenzvernichtend. Nur eine Existenz innerhalb der Partei machte es ehemaligen IM letztlich möglich, sich konsequent nach den Regeln der Partei zu verhalten.

Es gibt auch eine Existenz außerhalb der Partei. Schonmal einen Gedanken darüber verschwendet? Da interessiert sich niemand für Stasi, sofern die nicht als Hardcover für 9,90 Euro oder DVD-Sammleredition daher geschlichen kommt.


7.

Wer systematisch Vertrauen missbraucht hat, kann nur auf Vergebung hoffen – und die gibt es nur individuell. Das gilt für beide Seiten. Vergebung gibt es nicht für Parteien und nicht durch Parteien. Die Mindestvoraussetzungen sind Reue und Läuterung auf der einen und zutiefst menschliche Abwägungen zwischen Nachsicht und Verachtung auf der anderen Seite.

Was soll dieses katholische Geschwafel?

Das schaffen nur Menschen, nicht Strukturen. Mittlerweile haben sich hinter der PDS, dann der LINKEN jedoch Interessen versammelt, die gegen andere demokratische Parteien vertreten werden wollen – und für die das Stasi-Thema sekundär ist – sekundär, nicht gleichgültig! Man sieht über die Dinge hinweg, insofern sie das eigentliche Anliegen nicht beschädigen. Was geschieht, wenn das eigentliche Anliegen durch eine Stasi-Affäre beschädigt wird, zeigt die PDS/LINKE Sachsen seit der Stasi-Auseinandersetzungen um den damaligen Spitzenkandidaten Peter Porsch im Wahlkampf 2004.

Für die demokratische Konkurrenz ergeben sich daraus ambivalente Schlussfolgerungen – einerseits die Idee der Integration der Ex-IM, um auf diesem Weg die entscheidende Barriere zur Integration der derzeit nur über die LINKE vertretenen sozialen Interessen zu überwinden – andererseits die erneute und exzessive Skandalisierung des IM-Themas, um die Barriere so weit zu erhöhen, dass die LINKE auch aus der Sicht ihrer Anhänger dysfunktional wird.

Beide Varianten habe ihre eigene politische Rationalität. Das Eigeninteresse der LINKEN, vor allem aber ihre Verantwortung gegenüber den eigenen Wählerinnen und Wählern kann nur auf Seiten der Integrationschance liegen. Das setzt aber voraus, den Weg von Kerstin Kaiser und nicht den von Gerd-Rüdiger Hoffmann zu gehen. Es setzt voraus, sich nicht in den Käfig dauerhafter Kumpanei zu begeben, wie ihn Peter-Michael Diestel aufstellt. Es verlangt, sich der Chance und der Herausforderung gewachsen zu zeigen, die der neue, der politische Brandenburger Weg darstellt.

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Fazit:

Beim vorliegenden Schriftstück von Thomas Falkner haben wir es mit einer üblen Denunziation zu tun, um Haßpropaganda.

Nichts gegen Haßpropaganda, sie hat im jeweiligen politischen und historischen Kontext durchaus ihre Berechtigung, Bedeutung und Wirkung. Man sollte allerdings, sofern man sich der Haßpropaganda befleißigt, tunlichst unterscheiden können, wer Freund und wer Feind ist.

Der Wortwahl nach handelt es sich um eine Melange aus Formulierungen des Spiegel und der BILD, die diese Boulevardzeitungen im Kontext des Ministeriums für Staatssicherheit verwenden, bzw. im Kontext der mittlerweile im 20. Jahr andauernden Delegitimierungskampagne, die diese Blätter federführend und meinungsbildend betreuen.

Der Kasus kaktus, kackus oder knackus ist jedoch ein anderer. Je nach Belieben setzt man sich mit dem Arsch in ein stachliges Feld, in die Scheiße oder bringt es auf den Punkt.

Im engeren Kern der Debatte geht es um die Deutungshoheit über die Geschichte von 1945-1990. War die DDR ein historisch legitimer und notwendiger Versuch, die Lehren aus 2 Weltkriegen zu ziehen? Die Fragestellung wird auf ein Vehikel verkürzt, den Stasi-IM. Wer sich sowas leistet, der hat keine historische Legitimation, und der hat keine Lehren aus der Geschichte gezogen.

Das Dilemma der Stasi-Debatte besteht darin, gerade in der Linken, daß man sich nicht (!) auf eine politische Diskussion eingelassen hat, sondern bereitwillig der Delegitimierungskampagne gefolgt ist bzw. sich auf die moralische (katholische) Leimspur (Bewertung) der Problematik eingelassen hat. Und wer auf einer Leimspur lang kriecht, bleibt irgendwann drauf kleben. Man hat sich die Deutung darüber diktieren lassen.

Es gibt zwar hin- und wieder Beschlüsse und Papiere, aber ein fundiertes wissenschaftliches, historisches und politisches Bild der DDR gibt es in der Linken nicht. Insofern kann es auch keines zum MfS geben.

Man hat den Arsch zusammen gekniffen und den Schwanz eingezogen, sobald es um die DDR, Stasi, Mauer und blablabla ging.

Souverän geht anders.

Jedes Urteil wissenschaftlicher Kritik ist mir willkommen. Gegenüber den Vorurteilen der sog. Öffentlichen Meinung, der ich nie Konzessionen gemacht habe, gilt mir nach wie vor der Wahlspruch des großen Florentiners:

Seguil il tuo corso, e lascia dir le gentil!“

Karl Marx, Das Kapital, Erster Band, Vorwort zur ersten Auflage