Die letzte Frage des Doktors lautete, da er mich hinauskomplimentierte:
Und wo sind ihre Schuhe?
Ich zeigte meinen linken Fuß her.
Ah ja, Barfußschuhe.
Ich hatte ob der Leichtigkeit des Seins und der extrem langen Wartezimmerzeit von 4 Stunden wegen der Bequemlichkeit auf leichtes Fußwerk gesetzt und die
Skinners in der Egon-Olsen-Edition (empfohlen von Profisurfern) aufgezogen.
Keine Experimente. Als Ossi hat man den Spruch auf der Rille, beherzigt ihn nur nicht immer. Am 10. März begann das Umdenken. Im Grunde war da schon die Entscheidung gefallen, mit dem Pillenexperiment aufzuhören. Wichtig war, noch auf die Meinung für mich sehr wichtiger Ärzte zu hören. Sowas dauert.
Medikamente siind Segen und Fluch zugleich. Oftmals. Was wäre eine Welt ohne Acetylsalicylsäure (Acesal, ASS)? Für mich die gleiche, wie mit, denn ich habe ASS-Allergie (DDR-Befund) bzw. ASS-Unverträglichkeit (westlicher Sprachgebrauch). Die Allergie wurde zu einer Unverträglichkeit herabgestuft. Für mein Wohlbefinden ist das ohne jede Bedeutung. Ich darf das Zeug nicht nehmen und muß mich im Ernstfall mit anderen Schmerzmitteln und Entzündungshemmern behelfen. Insofern hatte ich bisher großes Glück. Bis auf gelegentliche Kopfschmerzen wegen Rücken benötige ich keine Medikamente. Für die richtig harten Winterkrankheiten und mögliche Allergieausbrüche habe ich Cortison im Haus.
ASS ist ein Segen für die Menschheit, für mich der Tod, so ich nicht schnell genug in einer Rettungsstelle lande und den Körper mit Cortison und Kalzium vollgepumpt bekomme. Die Zeiten sind aber lange her. Meine letzte Notfallspritze war so in etwa vor 15 Jahren. Davor um die Mitte der 80er.
Das alles ist also nicht das Thema, da beherrschbar. Interessant wird es erst bei unvorhergesehenen Dingen.
Anfang des Jahres schickte mich der Facharzt zum Hausarzt, weil mein Pillenbegehr nur von dem befriedigt werden konnte. Er dürfe sowas nicht. Der Hausarzt wiederum meinte, das sei etwas zu heftig, was mir da vorschwebe, ich möge mich mit einem excellenten Mittel begnügen, das bei älteren Schmerzpatienten wegen rücken oder rheuma in vielen Fällen Linderung verschafft.
Am 9. Januar, nach der ersten Pille, wußte ich, daß es genau in die gewünschte Richtung gehen und Probleme geben wird. Einer der Sensoren für das persönliche Wohlbefinden hatte sogleich alle Register der Alarmierung gezogen. Das sollte sich bis Ende voriger Woche auch nicht mehr ändern. Bis zum Ausstieg.
Nehmen wir einmal an, jemand hat Cholera und Pest. Die Cholera ist gut in Schach gehalten, dafür gibt es prima Zeugs aus der Alchemie. Nur die Pest, die wird im Laufe der Jahre immer unerträglicher. Kennt ja jeder. ergo wendet man sich an den Pestbeauftragten in der Poliklinik, der aber iregndwie nicht weiter kommt, auch wenn die besten der Besten ihr Bestes gaben. Kein Pülverchen, das gegen die Pest anstinken kann. Auch pure Willenskraft versagt im Kampf gegen das Übel.
Da kommt ein Wunderheiler daher und meint, er wüßte da ein Mittelchen, mit dem na sieben auf einen Streich erledigt. Gesagt, geschluckt. die Pest ist beherrsch-, womöglich sogar heilbar. Und sechs andere unbedeutende Wehwechen nebenbei auch. Nur die Cholera, die bricht augenblicklich aus und verschelchtert die Lage so, daß eines Tages der Feuerwehrmann mit einem großen Auto vorbeigefahren kommt und gar nicht erst groß rumfragt, soindern Blaulicht einschaltet und ins Krankenhaus düst.
Cholera ist eine richtige Scheißkrankheit, die sie da haben.
Ja, weiß ich.
Das Problem bestand allerdings darin, daß die Befunde im Krankenhaus knackige Gesundheit offenbarten, auch wenn man Scheiße drauf war. Auf die Frage, ob die Pillen, den Ausbruch der Cholera provoziert haben, gab es abschlägigen Bescheid. Darüber ist nichts bekannt.
Es dauert dann noch vier Wochen. Dann weiß der auf Cholera und Pest spezialisierte Hobbymediziner, was da warum und wie passierte. Er weiß es so präzise, daß die Ärzte gespannt zuhören, wenn er ihnen sein Wissen präsentiert. Den ersten fragt er nach einer möglichen Alternative für die Pestpillen. Die gibt es. Sie sei nebenwirkungsärmer und präziser in der gewünschten Wirkung. Der nächste Spezialist verabschiedet und bedankt sich. Dafür, daß er sehr viel dazugelernt hat. Jetzt ist es für ihn auch klar, daß es sich gar nicht um die Pest, sondern um Lepra handelt. Für die sei er nicht zuständig.
Dann wird noch kurz die Alternative getestet, die alles noch viel schlimmer macht. Von den sieben erschlagenen Wehwehchen sind alle wieder da und die Cholera malträtiert einen noch schlimmer als mit der anderen Pille. Damit ist die Entscheidung gefallen. Experimente sind sinnlos, wenn sie in die verkehrte Richtung laufen.
Wie geht's ihnen?
Das ist die erste Standardfrage beim letzten Doktor.
Na Scheiße, sehen sie ja an den Meßwerten. Ich hatte einen richtig ekligen Aufenthalt auf Usedom. Aber ich weiß jetzt wenigstens, was damals passiert ist. Ist ganz einfach, wenn man es erst mal weiß.
Dann folgte mein Fachvortrag, der ohne medizinische Fachwörter auskam. Daraus wiederum ergab sich eine interessante Diskussion, denn der Doktor wußte im Grunde um die Problematik, nur wie brisant das in Wirklichkeit ist, das war jetzt deutlicher geworden.
Ich habe weiter keinen Patienten, der sich so um die Durchdringung des Problems kümmert wie sie.
Ist ganz einfach. Wenn man fast jämmerlich krepiert wäre und wieder auf die Beine gekommen ist, dann will man schon wissen, was da abging. Das ist im Ernstfall eine Lebensversicherung.
Im beiderseitigen Einvernehmen wird das Pillenexperiment sofort abgebrochen. Wenn man zwischen Cholera und Lepra, die sich als Pest darstellt, wählen muß, dann zwingend für die Cholera. Mit der Lepra und Pest muß man erst mal leben. Cholera ist beherrschbar, solange man die richtigen Pillen nimmt und auf jene verzichtet, die da reinblutgrätchen.
Das Thema ist so brisant, daß eigentlich eine
Meldung an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte erfolgen müßte. Auf dem ellenlangen Zettel der beiden getesteten Pillen, wahrscheinlich auch weiterer, muß entweder eine Nebenwirkung neu hinzukommen, wenn nicht sogar eine Gegenanzeige.
Lustigerweise ist es so, daß beide getesteten Pillen nicht bei Pest genommen werden dürfen, da dies als Gegenanzeige verzeichnet war, genau das aber eine hochwillkommene Wirkung war, obwohl die Ursache der Kalamitäten wiederum Lepra war, die allerdings atombombenmäßig behandelt wurde.
Im Grunde, da waren sich der Doktor und ich einig, muß ein neues Medikament entwickelt werden, denn für die beschriebene Symptomatik gibt es einen großen Markt. Einfach ist das definitiv nicht.